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Roman

Roman

Titel: Roman
Autoren: Jeri Smith-Ready
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    It’s only Rock ’n’ Roll (but I Like It)
    Der Fluch, der auf einer Familie liegt, stirbt nie; er existiert auf immer und ewig. Die griechische Mythologie erzählt vom Fluch, der auf dem Geschlecht der Atriden lastete: Alles begann mit einer Suppe. Der Ahnherr der Familie kredenzte den Göttern den ersten Gang der Tageskarte in bester Klugscheißermanier: Die Fleischeinlage war der eigene Sohn. Seitdem ging es mit den Atriden ständig bergab. Heute bringt der Fluch die Mitglieder dieser Familie vielleicht nur noch dazu, sich gegenseitig keine Geburtstagskarten mehr zu schicken.
    Ich weiß nicht, wie finster der Fluch, der auf dem Geschlecht der Griffin lastet, in der Alten Welt einst begonnen hat. Mich jedenfalls schlägt er im Hier und Jetzt mit einer besonderen Gabe. Ich beherrsche die Kunst der Verführung. Im Alltag unserer normalen Welt heißt das: Verkauf und Vertrieb oder stylisch gesprochen: Sales und Marketing. Ich nenne es daher gern: S&M.
    Der schlacksige Typ in den Dreißigern hinter dem Schreibtisch überfliegt meinen Lebenslauf. Viel zu lesen hat er nicht; der Lebenslauf ist knapp ausgefallen. Während der Typ im Takt der Blues-Rhythmen nickt, die aus dem Lautsprecher an der Wand kommen, wippt sein kurzes dunkles Haar ihm gegen die Stirn. Unbewusst klopft er mit den Fingern synchron denselben Takt auf der Holzplatte des Schreibtisches, der uns voneinander trennt.
    Die Andenkensammlung in diesem winzigen Büro würde jedes Hard Rock Café beschämen. Neben dem einzigen, allerdings verrammelten Fenster steht ein lebensgroßer John Lennon. Er blickt mir direkt in die Seele – und gleich daneben ein Jerry Lee Lewis ebenso direkt in den Ausschnitt.
    »Also, Ciara …« David, so hat er sich vorgestellt, wirft mir einen ernsten Blick zu. »Warum wollen Sie …«
    »Es wird Kih-ra, nicht Ssi-eera ausgesprochen.« Mechanisch leiere ich die Aussprache-Korrektur herunter. Dabei versuche ich, so höflich wie möglich zu klingen. »Nicht so wie die Gebirgskette also.«
    »Entschuldigung. Ich bin mir ziemlich sicher, das passiert Ihnen ständig.« Er dreht das Blatt um, um einen Blick auf die zweite Seite meines Lebenslaufes zu werfen. Gähnende Leere. Er lüpft meine Bewerbungsmappe, wahrscheinlich auf der Suche nach einem weiteren Blatt. »Wo findet sich denn Ihre weitere Berufserfahrung?«
    Ich schenke ihm mein entwaffnendstes Lächeln. »In der Zukunft, hoffe ich.«
    Er blinzelt. Dann schaut er wieder auf den Lebenslauf und hebt dabei seine Augenbrauen. »Tja, jedenfalls liest sich Ihre Bewerbung flüssig.«
    Das liegt zweifellos an der Sechzehn-Punkt-Schriftgröße, die ich gewählt habe, um die eine Seite auch wirklich voll zu bekommen.
    David inspiziert die Zeilen erneut: Seine grünen Augen huschen hin und her, verzweifelt auf der Suche nach einem Aufhänger für ein Vorstellungsgespräch. »Ciara. Interessante Schreibweise.«
    »Ist irischen Ursprungs. Es bedeutet so viel wie ›dunkel und geheimnisvoll‹.« Ich drücke den Rücken durch und setze mich so in Szene: helles, rotbraunes Haar, geflissentlich harmloser Blick. »Auf mich allerdings trifft weder das eine noch das andere zu.«
    Davids Mundwinkel verziehen sich zu einem kurz angedeuteten Lächeln. Dann legt er den Lebenslauf beiseite und schlägt meine Bewerbungsmappe auf. Während er den Inhalt durchgeht, drückt er mit dem Daumen unablässig auf das Ende seines Kugelschreibers. Mine rein, Mine raus, ein Stakkato von Klicklauten, das mein Nervenkostüm ziemlich verschleißt. Ich widerstehe dem Drang, meine feuchten Handflächen an meinem einzigen Outfit für Bewerbungsgespräche abzuwischen.
    Die Klimaanlage surrt und klackert vor sich hin. In ihrem Luftstrom flattern gleich über meinem Kopf Backstage-Ausweise. Sie hängen wie Weihnachtsdekoration am Geweih eines Hirsches, der stocksauer dreinblickt.
    »Ihr erstes Studienprojekt liegt bereits sechs Jahre zurück«, sagt David. »Ich gehe davon aus, dass Sie das Sherwood College seitdem nicht regelmäßig besucht haben. Das ist doch richtig, oder?«
    Meine Schultern verspannen sich. »Ich habe mir eine Auszeit genommen.« Upps, eigentlich sollte das hier eine Übung in Ehrlichkeit werden. »Ich meine, ich habe das Studium unterbrechen müssen, um Geld für die Studiengebühren zu verdienen.«
    Er nickt mitfühlend. »Studieren ist eine teure Angelegenheit. Ich habe der Army vier Jahre meines Lebens gegeben – im Tausch gegen einen Hochschulabschluss.«
    »Die Army, wow! Haben Sie in der
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