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Bluescreen

Bluescreen

Titel: Bluescreen
Autoren: Kevin Mark; Vennemann Greif
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aufgezogen hatte, sind in der Lage, schon bei der ersten Gelegenheit, bei der ein brünstiges Weibchen anwesend ist, normal zu kopulieren.« 1
    Moderne verhaltensbiologische Studien, die ohne die verfälschenden Effekte der Gefangenschaft – ein einsamer Schimpanse ist schließlich ein toter Schimpanse – in freier Wildbahn durchgeführt wurden, konnten diesen Befund weder bestätigen noch widerlegen. Die Zukunft unserer Gesellschaft liegt irgendwo zwischen der Ratte und diesen Schimpansen.
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1
  
F. A. Beach, »Evolutionary changes in the physiological control of mating behavior in mammals«, in: Psychological Review 54/1947, zitiert in: Clifford Geertz, The Interpretation of Cultures , New York: Basic Books 1973, S. 76, FN 55.

Im Hochsommer der Sexkinder
    Vor Kurzem führte ich eines jener Gespräche, die man nicht führen sollte. Es ging um die Frage, ob Vladimir Nabokov, der Autor von Lolita , tatsächlich minderjährige Mädchen begehrte oder nicht. Die üblichen Argumente wurden vorgebracht: Nabokov sei ein Meister des Rollenspiels gewesen und Humbert Humbert nichts als eine Spielerei für ihn. Man käme doch auch niemals wegen Kinbote – der Erzählerfigur in Fahles Feuer – auf den Gedanken, Nabokov könne Jungen geliebt haben. In seinen späten Romanen habe Nabokov mittels allegorischer Verfahren jene ästhetizistischen Verführungen beschrieben, die das Verbotene zum Schönen verklären; es handle sich um moralische Sittengemälde, die zeigen sollen, dass wir das Verbrechen akzeptieren, wenn es nur verführerisch genug dargestellt wird. Das falsche Objekt zu lieben, würde auf diese Weise zu einer Metapher für Kunst, für Ethik, für Persönlichkeit und so fort.
    Widerwillig warf ich ein, mir erschienen solche Erklärungen als unzureichend, ja geradezu bösartig. Lolita bereitet uns nur deshalb solche Schwierigkeiten, weil das Buch tatsächlich zu beschreiben in der Lage ist, wie eine Zwölfjährige als Sexobjekt aussieht. Wie ihr Kleid über ihre Knie streift. Wie ihre Zehen mit lackierten Nägeln aussehen. Wie die Farbe auf dem vollen Bogen ihrer Lippen liegt. Man sagt von solcherlei Darstellungen, sie seien »zu echt«, und das allein ist das Skandalöse. Das gilt auch noch fünfzig Jahre nach der Erstveröffentlichung desRomans, und darin wird auch in Zukunft das eigentlich Anstößige bestehen, wann immer ein Erwachsener sich eingesteht, dass es dem Buch gelingt, seine Vorstellungskraft derart auf den Kopf zu stellen, dass er ein Kind, ein menschliches Wesen also, das sich noch im beschützten Larvenstadium des Organismus befindet, als sexualisiertes Objekt wahrnimmt. Das Mädchen ist nach wie vor ein Kind. Es ist jetzt allerdings ein Sexkind. Doch genau deshalb glaube ich nicht, dass Nabokov ein Pädophiler war, sondern vielmehr etwas, was man mit ihm eigentlich nicht in Verbindung bringt: ein Gesellschaftskritiker.
    Eigentlich sollten auch Sie das so sehen, und vielleicht tun Sie es ja ohnehin schon. Die letzten fünfzig Jahre haben uns immer dort eine sexualisierte Jugendlichkeit entdecken lassen, wo sie nicht existierte, und sie haben sie uns dort ignorieren lassen, wo es sie gab. Wir Erwachsenen projizieren die Sexualität von Kindern auf unsere eigene Lust oder betrachten Kinder unter Vergrößerungsgläsern, um ganz sicherzugehen, dass sie auch ja keinerlei Reize auf uns ausüben. Doch mit der Zeit sind diese Linsen zu Brenngläsern geworden. Betty Grables Hüften schmolzen dahin. Marilyn Monroes Brüste zerliefen und wurden durch Silikon ersetzt. Als die T-Shirts bauchfrei wurden und die Hosen so weit nach unten rutschten, dass man die Slips sehen konnte, schuf die Modegeografie neue erogene Zonen für Schlankheitsfanatiker, die sich ihre sekundären Geschlechtsmerkmale abhungern wollen, und für Teenager an der Schnittstelle zwischen sportlichen Frauen und pubertierenden Kindern. Das abgemagerte Model und die Elfe wurden idealisiert. Vor dem Schlafzimmerspiegel sehen Mama und Tochter wieder genau gleich aus. Diesmal jedoch haben sie sich nicht mitMamas Perlen und Stöckelschuhen herausgeputzt, sondern mit Kinderkleidung. Man träumt davon, wieder sechzehn zu sein.
    Der Literaturwissenschaftler Philip Fisher hat immer wieder darauf hingewiesen, der Roman sei zwar dicht gestrickt, in Lolita wiederhole sich jedoch eine Szene. Humbert beobachtet heimlich ein hell erleuchtetes Fenster in der Ferne. Weil er sich so sehr danach sehnt, eine kleine Nymphe zu betrachten, sieht er auch eine.
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