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Blinde Voegel

Blinde Voegel

Titel: Blinde Voegel
Autoren: Ursula Poznanski
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nötig.
    Durch all ihre Müdigkeit hindurch spürte Beatrice, wie die alte Wut in ihr hochkochte. Wieso war Achim so versessen darauf, dass sie sich schuldig fühlte?
    Sie vergrub ihren Kopf im Kissen, wühlte ihn tief hinein, als wäre dort unten die ersehnte Ruhe zu finden. Doch ihr Herz schlug zu hart, und ihre Gedanken krochen erschöpft zwischen Achim und dem toten Paar hin und her, bis sie endlich vor dem Schlaf kapitulierten.

Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte. Ich war nicht unachtsam, das liegt nicht in meiner Natur, umso mehr empfinde ich diesen Einbruch in mein Leben als unverschämt. So plötzlich. Ohne Vorwarnung.
    Dein Sohn will dich sehen, bitte, dein Sohn. Ich konnte dem Mädchen ansehen, wie sehr sie gehofft hat, dass allein dieses Wort sie retten würde. Was vielleicht geklappt hätte, wenn es einen Sohn gäbe, der nach mir Sehnsucht haben könnte. Aber sie selbst, sie hat sich jedes ihrer Worte geglaubt. Keine Lüge in den blauen Augen, nur blanke Angst. Nichts macht gesprächiger.
    Es war merkwürdig. Ich war wie unter Schock, musste mich zusammennehmen, um nicht plötzlich zu lachen oder davonzulaufen. Es ist nicht wahr, dachte ich die ganze Zeit, natürlich nicht, warum auch. Aber an dem, was sie gesagt und mir gezeigt hatte, war nicht zu rütteln. Sie war so kooperativ. Erst, als ich sie fragte, wie mein Sohn denn hieß, kam keine Antwort mehr. Spätestens da musste sie begriffen haben.
    Und so bleibe ich mit nur einem einzigen Anknüpfungspunkt zurück – und mit einem allgegenwärtigen Gefühl der Bedrohung.
    Vielleicht war es nur der unglücklichste und letzte Zufall ihres Lebens, der das Mädchen an meine Ufer gespült hat. Aber darauf darf ich mich nicht verlassen.
    Ihr fetter Begleiter, dem der Rotz aus der Nase lief, war ein wimmerndes Bündel, der Charakter so schlaff wie der Körper. Er konnte nichts dafür, er hatte keine Ahnung, er wusste von nichts, er würde niemandem etwas sagen, und dann dieses fortwährende bitte . Sie lernen es mit zwei Jahren und glauben dann, es würde ihnen von da an alles bescheren, was sie sich wünschen, und sie vor allem Furchtbaren bewahren.
    Aber es sind nur zwei Silben, und sie bedeuten nichts.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel zwei
    D ie Fotos lagen ausgebreitet auf ihrem Schreibtisch, eine Collage grausiger Details. Ebners Drucker musste die halbe Nacht lang gelaufen sein. Florin war damit beschäftigt, einige der Aufnahmen an der Pinnwand zu befestigen. Dabei bildete die Großaufnahme der annähernd sternförmigen Einschusswunde am Kopf des Mannes das Zentrum.
    «Drasche und Vogt sind sich einig, es ist ein absoluter Nahschuss», sagte er. «Die gefundene Patronenhülse passt zur Waffe, die Schmauchspuren an Kopf und Händen werden noch im Detail untersucht, aber wir können davon ausgehen, dass die Pistole beim Abdrücken direkt an seine Schläfe gehalten wurde.»
    «Klingt also wirklich nach Selbstmord.» Beatrice hielt Ausschau nach ihrer Kaffeetasse und entdeckte sie neben dem Waschbecken. «Wissen wir schon etwas darüber, wer die Frau ist?»
    «Nein. Darum müssen wir uns heute gleich kümmern, auch um das Umfeld von Gerald Pallauf. Ich möchte wieder Stefan ins Team holen, wenn du einverstanden bist.»
    Das war sie, und wie. Stefan Gerlach – rothaarig, schlaksig, fast zehn Jahre jünger als sie und von ansteckendem Enthusiasmus – hatte sich bei ihrem letzten großen Fall als unschätzbar hilfreich erwiesen.
    «Ich freue mich immer, ihn dabeizuhaben», sagte sie daher und untersuchte ihre Tasse auf Flecken. Sie fand keine und setzte die Espressomaschine in Gang. «Wenn wir es wirklich mit Mord und Selbstmord zu tun haben, sollte die Arbeit allerdings überschaubar sein. Dann wird Hoffmann ihn bald wieder abziehen.»
    Florin pinnte das nächste Foto an die Wand. Die Pistole im trockenen Laub. «Ja. Wenn. Aber sieh dir mal diese Waffe an.»
    Während die Espressomaschine gurgelnd Milchschaum spuckte, trat Beatrice näher an die Pinnwand heran. «Weia, ich bin keine Expertin. Ist das eine Glock?»
    «Ganz genau. Eine Glock 21, Kaliber 45.»

    Sie betrachtete Florin von der Seite. Er roch heute ein wenig anders als sonst. Ein neues Eau de Toilette? Sie verkniff es sich, noch näher an ihn heranzurücken. «Verstehe. Und mit einer Glock 21 kann man nicht Selbstmord begehen, oder wie?»
    «Doch. Aber sie hat dreizehn Schuss. Und zwölf waren noch im Magazin.»
    Beatrice dämmerte, worauf Florin hinauswollte. «Er hätte die Frau
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