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Blinde Voegel

Blinde Voegel

Titel: Blinde Voegel
Autoren: Ursula Poznanski
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bevor sie ihn sah. Wütendes Summen empfing sie, als sie auf den mit rot-weißem Band abgesperrten Bereich zugingen. Sie hatte recht gehabt mit den Fliegen. Aber noch kein Geruch.
    Sie kletterte unter der Absperrung hindurch und schluckte gegen das enge Gefühl in ihrer Kehle an. Doch die Anspannung blieb. Sie würde in Situationen wie dieser wohl ewig ihr Begleiter sein. Die Begegnung mit dem Tod wurde auch nach vielen Malen nicht einfacher.
    Sie lagen inmitten von trockenem Laub, eine Frau und ein Mann. Er auf dem Bauch, sie auf dem Rücken. Sein Körper war klein und gedrungen, ihrer lang und überschlank. Gegensätze, dachte Beatrice.
    Zwischen den Leichen kniete Dr. Vogt und war eben damit beschäftigt, mit einem Skalpell Hose und Unterhose des Mannes zu durchschneiden. Das Thermometer, mit dem er gleich die Rektaltemperatur messen würde, lag schon bereit.
    Beatrice unterdrückte den Impuls, sich abzuwenden. Sie heftete ihren Blick auf das zur Seite gewandte Gesicht der Frau, die bläuliche Hautfärbung, die aus dem Mund hängende Zunge. Halb offene, verdrehte Augen. Kein Wunder, dass die beiden jungen Camper so verstört gewesen waren.
    «Erdrosselt», erklärte Vogt, bevor sie fragen konnte. «Mit einer Wäscheleine, die liegt hier noch.»
    «Und der Mann?»
    Der Gerichtsmediziner winkte sie heran, deutete auf den von Laub halb verdeckten Kopf der Leiche.
    Ein Einschussloch an der rechten Schläfe. Eine ungleich größere Austrittswunde an der gegenüberliegenden Seite, das halbe Ohr und die Wange waren weggesprengt. Direkt neben der Hand des Toten entdeckte Beatrice nun auch eine Pistole. Wenn sie die Fingerabdrücke des Mannes darauf fanden und sich zeigte, dass die Waffe auf ihn gemeldet war, dann konnten sie von Mord und Selbstmord ausgehen. Unerfüllte Liebe, Vertrauensmissbrauch, Betrug – sie versuchte, sich vorzustellen, wie die Beziehung der beiden zueinander gewesen sein mochte.
    Merkwürdig, es gelang ihr nicht.
    Es lag an der Frau. Ihr Gesicht war aufgequollen und verfärbt, aber man erkannte immer noch, dass sie sehr hübsch gewesen war. Puppenartige Züge, ein durchtrainierter, langgliedriger Körper. Schicke Kleidung – ein enormer Kontrast zu den an den Schenkeln abgewetzten Jeans des männlichen Opfers, das dazu ein sandfarbenes Poloshirt in Übergröße trug.
    Es war kein zulässiger Schluss, aber ein zu starker Eindruck, als dass Beatrice ihn einfach hätte ignorieren können. Mord und Selbstmord kamen hauptsächlich in Beziehungen vor, und sie glaubte nicht, dass die tote Frau ein intimes Verhältnis zu dem Mann gehabt hatte. Eher, dass er hinter ihr her gewesen war.
    Unerfüllte Liebe. Stalking, vielleicht.
    Vom Weg her waren eilige Schritte zu hören und die vertraute, übellaunige Stimme von Drasche, der wieder einmal seinen Unmut darüber kundtat, dass andere vor ihm am Tatort gewesen waren. Als könnten allein ihre Blicke wichtige Spuren verwischen.
    «Hallo, Gerd», begrüßte ihn Beatrice. «Bevor du fragst: Nein, wir haben noch nichts angefasst.»
    «Gut.» Drasche stellte seinen Spurensicherungskoffer ab und entnahm ihm Handschuhe, Plastikaufsteller mit Spurennummern und sein übliches Arsenal an Behältern und Tüten.
    Mittlerweile hatte auch sein Kollege Ebner den Anstieg geschafft, grüßte einmal in die Runde und packte seine Kamera aus.
    «Was bringt zwei so unterschiedliche Menschen im Tod zusammen?», murmelte Beatrice, mehr zu sich selbst, doch Florin hörte ihre Worte.
    «Das Leben, schätze ich. Wir wissen doch noch gar nichts über sie, Bea.»
    «Ja. Trotzdem.» Sie ging ein Stück näher heran, um Drasche besser bei der Arbeit beobachten zu können. Florin gesellte sich zu Vogt, der eben unter dem Absperrband hindurchtauchte und sein Diktiergerät in die Jackentasche steckte.
    «Der Mann hat einen Ausweis bei sich, die Frau nicht.» Drasche hielt ein abgewetztes Lederportemonnaie hoch, aus dem er einen Führerschein zog, einen der neuen, im Scheckkartenformat. «Gerald Pallauf, geboren 1985. Vermutlich aus der Gegend, das Dokument wurde in Salzburg ausgestellt. Alles andere später.»
    Was ab jetzt will ich nicht mehr gestört werden bedeutete.
    Beatrice schrieb die Daten in ihr Notizbuch, die Augen zusammengekniffen, um besser sehen zu können. Die Dämmerung wich immer schneller der Dunkelheit. Gerade eben war noch jedes Detail des Waldbodens zu erkennen gewesen, nun hatte er sich in eine diffuse Fläche voller Stolperfallen verwandelt.
    Ebner brachte zwei
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