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Blinde Voegel

Blinde Voegel

Titel: Blinde Voegel
Autoren: Ursula Poznanski
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erschießen können, und danach sich. Aber er hat sie erwürgt. Unter freiem Himmel, auch sehr ungewöhnlich.»
    Sie ging die Bilder durch, die noch auf dem Schreibtisch lagen. Das verfärbte Gesicht der Frau, die Wäscheleine, die halb unter und halb neben ihr lag. «Es könnte natürlich sein, dass er sie bestrafen wollte, durch einen langsameren Tod voller Angst.»
    Da war ein Foto, das die rechte Hand der Frau zeigte. Daumen und Zeigefinger lagen aneinander, als würden sie immer noch den Papierschnipsel halten. «Hat jemand den Rest des Zettels gefunden?»
    «Nein. Drasche hat lange gesucht, und heute Morgen hat er drei Leute aus seinem Team noch mal hingeschickt, aber bisher …»
    Wenn es kein Selbstmord war, dann die zufällige Tat eines Psychopathen, dem die beiden über den Weg gelaufen waren? Oder Mord aus Eifersucht?
    Beatrice holte sich ihren Kaffee, setzte sich auf ihren Drehstuhl und blätterte durch, was an offiziellen Daten zu Pallauf verfügbar war. Es war nicht viel, und es war nichtssagend. Also holte sie ihren Computer aus dem Stand-by-Modus und gab Gerald Pallauf bei Google ein.
    Die schiere Anzahl der Treffer war erstaunlich. Es gab zwei Männer dieses Namens, aber der aus Salzburg war im Netz deutlich aktiver gewesen als der andere. Mitgliedschaften in einem Film-, einem Computerspiel- und einem Science-Fiction-Forum, bei Facebook und bei Twitter, und zu guter Letzt ein eigener Blog – das war allein die Ausbeute der ersten zwei Seiten, die Google anzeigte.
    Zufrieden lehnte sie sich zurück. Pallauf würde ihnen vieles über sich selbst erzählen, er hatte wortreiche Spuren hinterlassen, auf die sie jederzeit zugreifen konnten. In letzter Zeit hatte Beatrice diese Hinterlassenschaften im Netz immer mehr schätzen gelernt. Sie rundeten das Bild ab, das Akten und Zeugen von Opfern, aber auch Verdächtigen zeichneten.
    In Pallaufs Fall würde einer dieser Zeugen ein gewisser Martin Sachs sein. Sachs hatte sich mit Pallauf eine Wohnung in der Schumacherstraße geteilt. Florin stand bereits an der Tür und klimperte mit den Autoschlüsseln. Wenn der Verkehr nicht zu stark war, konnten sie in fünfzehn Minuten dort sein.

    Es war ein großer Bau gegenüber der Salzburger Stadtbibliothek. Sie fuhren mit dem Aufzug in den fünften Stock, wo bereits ein schmaler, blasser Mann in Jogginghose die Tür geöffnet hatte und auf sie wartete.
    «Ich bin Martin Sachs.» Er reichte Beatrice eine weiche, feuchte Hand. «Kommen Sie herein, ich habe versucht, ein wenig aufzuräumen, aber …» Er zuckte die Schultern.
    Entweder war sein Versuch nur kurzlebig gewesen, dachte Beatrice, oder das Chaos davor musste unbeschreibliche Ausmaße gehabt haben. Im Flur stapelten sich Altpapier und leere Pizzakartons, im Wohnzimmer lag gebrauchte Wäsche, verteilt auf mehrere Häufchen. Ein riesiges Bücherregal nahm die ganze Längswand ein und war so vollgestopft, dass es wirkte, als müssten die Bücher es jeden Moment sprengen. Zwei Computertische, ein Sofa, ein Couchtisch, alles bis auf den letzten Zentimeter zugemüllt.
    Sichtlich verlegen raffte Sachs einen Haufen Zeitschriften, eine löchrige Wolldecke und ein Kissen zusammen und machte damit das Sofa zur Hälfte frei.
    «Möchten Sie gerne etwas trinken?»
    «Nein danke.» Beatrices Antwort kam ein wenig zu prompt, um höflich zu sein. Sie versuchte, das durch ein herzliches Lächeln wettzumachen. Ob Sachs lüften würde, wenn sie ihn darum bat?
    Besser, sie verkniff sich die Frage, denn ihr Gegenüber rang ohnehin um Fassung. Er hatte die Finger ineinander verschränkt und sah abwechselnd Beatrice und Florin an. Trat von einem Bein aufs andere.
    «Vielleicht könnten Sie sich ebenfalls setzen», schlug Florin vor. «Unsere Unterhaltung wird etwas länger dauern.»
    «Oh. Ja.» Sachs blickte sich um, als sei ihm die Wohnung nicht vertraut, bevor er den Bürostuhl packte, der vor einem der Computertische stand, und ihn in Richtung Couch rollte.
    «Sie leben hier gemeinsam mit Gerald Pallauf?», begann Beatrice. «Wie lange schon?»
    «Das sind, also, das sind …» Die Finger des Mannes wanden sich immer heftiger, als versuchten sie verzweifelt, sich voneinander zu lösen. «Zweieinhalb Jahre. Ungefähr. Wir haben uns an der Uni kennengelernt. Gerry hat Germanistik studiert und ich Romanistik. Wir hatten viele gemeinsame Hobbys, und deshalb – zu zweit kann man sich eine Wohnung eben besser leisten. Ein Zimmer zur Untermiete ist auch teuer, und man lebt viel
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