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Blinde Voegel

Blinde Voegel

Titel: Blinde Voegel
Autoren: Ursula Poznanski
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dem Ofen beförderte.
    Der Abend musste friedlich verlaufen, er musste einfach.
    Der Salat stand auf dem Tisch, daneben dampfte der Reis in einer Porzellanschüssel. Es sieht aus, dachte Beatrice, als würde ich so etwas hier jeden Tag machen.
    Sie hatte den Truthahn gerade fertig tranchiert, als es an der Tür läutete. Pünktlich auf die Sekunde, natürlich.
    Das Lärmen der Kinder im Treppenhaus war sogar durch die geschlossene Tür zu hören, am lautesten Jakobs helle Stimme: «Ich bin schneller, ich bin schneller!». Beatrice öffnete die Tür, und beide Kinder stürmten ihr entgegen, atemlos.
    «Ich war schneller, Mama», keuchte Jakob. «Du hast es gesehen, oder? Oder?»
    Mina warf ihm einen vor Verachtung triefenden Blick zu. «Ist mir doch egal, Zwerg.» Sie drückte sich an Beatrice vorbei und schnupperte in die Wohnung hinein.
    Jetzt hatte auch Achim den letzten Treppenabsatz hinter sich gelassen. Er stand abwartend da, mit einer Flasche Wein in der Hand und einem Gesichtsausdruck, der sich zwischen Lächeln und Stirnrunzeln nicht entscheiden konnte. Beatrice ging ihm entgegen und nahm ihn am Arm.
    «Komm rein. Das Essen steht schon auf dem Tisch. Danke für den Wein.»
    Seine Miene hellte sich auf, und er strich sich beinahe verlegen über das schüttere blonde Haar.
    Es würde klappen, diesmal. Sie würden nicht streiten, sondern sich unterhalten wie Menschen, die etwas verbindet. Vielleicht würden sie sogar etwas finden, worüber sie gemeinsam lachen konnten.
    «Hattet ihr eine schöne Zeit?», fragte sie.
    «Ja, wir waren im Zoo in Hellbrunn», quäkte Jakob aus dem Badezimmer. Die Kinder wuschen sich freiwillig die Hände. Ein Wunder.
    «Die Nashörner sind so toll, Mama. Fast so groß wie ein Haus, und die stinken wie … wie …» Er fand keinen Vergleich und schüttelte sich zur Demonstration.
    Beatrice tauschte ein Lächeln mit Achim, eines der ersten seit der Scheidung. «Setzt euch, ja? Wer will Apfelsaft?» Sie fühlte, wie allmählich die Anspannung, die sie den ganzen Tag über begleitet hatte, von ihr abfiel. Das hier war ein normales Abendessen. Familie. Keine Prüfung, die sie zu bestehen hatte. Wenn die Kinder im Bett waren, würde sie mit Achim reden, ganz in Ruhe, und endlich einen Modus für ihre Scheidungsbeziehung finden.
    Scheidungsbeziehung, oh mein Gott. Vielleicht Trennungsverhältnis? Auch nicht besser.
    Der Truthahn war gelungen, stellte sie nach dem ersten Bissen erleichtert fest. Das idiotensichere Rezept aus dem Internet hielt, was es versprochen hatte.
    «Wein?» Achim schwenkte die Flasche über ihrem Glas.
    «Ja, bitte.»
    Sie prosteten einander zu. Beatrice suchte nach dem bitteren Zug um seinen Mund, der und das alles hast du weggeworfen sagte, aber heute war nichts davon zu sehen.
    «Mina würde gern wieder einmal zum Segeln gehen», merkte er an, nachdem er den Wein gekostet hatte. «Ich finde, sie ist jetzt alt genug, um den Segelschein zu machen. Wäre doch ein schönes Hobby, nicht?»
    «Sicher. Wenn sie das möchte.»
    Mina hopste auf ihrem Stuhl auf und ab. «Ja, will ich! Dann steuere ich das Boot, und ihr sitzt nur drin und –»
    Beatrices Handy klingelte. Es war der schrille, nicht zu überhörende Ton, den sie für Anrufe aus dem Büro eingestellt hatte.
    «Drrring!», echote Jakob mit vollem Mund.
    Ihr erster Impuls war, nicht ranzugehen. Vielleicht war es bloß Hoffmann, der einen noch fehlenden Bericht einfordern wollte.
    Nein. Das konnte nicht sein. Hoffmann war für zwei weitere Tage in Wien.
    «Ach, Mist.» Sie legte die Gabel aus der Hand und blickte entschuldigend zu Achim.
    «Geh nur ran.»
    War sein Lächeln gönnerhaft? Oder tat sie ihm unrecht? Versuchte er, verständnisvoll zu sein? Beatrice fischte ihr Handy aus der Tasche. Florin.
    Das war gut. Er würde verstehen, dass sie jetzt keine Zeit hatte, Berufliches zu besprechen. Bitte kein neuer Fall, nicht heute, nicht jetzt!
    Doch sie musste nur den Klang seiner Stimme hören, um zu wissen, dass sie das Abendessen vergessen konnte.
    «Bea, es tut mir leid. Eben ist ein Anruf hereingekommen, Spaziergänger haben zwei Tote gefunden, nicht weit von Schloss Aigen. Ich fahre gleich los. Kannst du direkt hinkommen?»
    Sie antwortete nicht sofort, sah erst zu Achim hinüber, der ebenfalls sein Besteck abgelegt hatte. Er rieb sich übers Kinn, eine ärgerliche Längsfalte teilte seine Stirn. Anrufe dieser Art hatte es früher oft gegeben, und er hatte nie freundlich darauf
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