Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I
Autoren: Thomas Gsella
Vom Netzwerk:
saudummen Mordtheorien würde Vorschub leisten können, wäre nicht sein Abschiedsbrief zu Händen Mariannen seit Tagen deponiert und in Kopie beim Xaver Freddy Hummel hinterlegt, dem aufrechten Notar und SS -Freund aus fetteren, nachgerade himmlisch ungetrübten Tagen.
    Ja, das waren noch Zeiten gewesen! Stundenlang »Juden raus« hatten sie, verstärkt durch zwei Dutzend gleichgesinnte Fackelträger, nachts vorm Haus eines Arztkollegen gebrüllt und ihn samt seiner sechsköpfigen Familie schließlich aus Waiblingen vertrieben, »Juden raus« die erste Woche, später dann das polyglott elegantere »Juda verrecke«, und im Nachhall dieser im Freundeskreis zutiefst initiatorisch empfundenen Dauerprüfung deklamierte Walter Müller diese Worte nun vorm Kartoffelacker erneut wie entrückt. Leise und versuchsweise anfangs, dann immer lauter und erinnerungsbefeuert schrie er schließlich, den Arm zum Gruße erhoben, »Juda verrecke« ins nichtende grableere Nichts der Schwäbischen Alb, wohl wissend, dass es hier und heute ganz allein ihm selber galt.
    Es war zum Verrücktwerden.
    Hihi!
    Jude. Er. Nicht länger mochte er der Wahrheit ausweichen, sondern sich nun endlich die verdiente Ladung reinhämmern, bumm-bumm, zwei Schüsse würde er blitzschnell nacheinander setzen, den zweiten zur Sicherheit, den ersten quasi zur Betäubung und Einleitung, ach Marianne, allerliebste Muschi, dachte er, gleich werde ich umfallen, und du kannst den ganzen Scheiß erben, Häuslein, Cabrio, den Bonsai, die Klassikerausgaben, das Piano, den Hitler-Wandteppich, eine grotesk missratene Handarbeit seiner faschistischen Schwiegermutter. Die SS -Unifom samt Mantel hatte er aber an, sie war ja auch viel zu groß für eine kleine Ehefrau und überhaupt eher für Männer, so erwog er mit bereits leicht lebensmüdem Hirn und wollte sich nun auch wirklich den Rest geben, brachte die Pistole an die Schläfe und schoss.
    Klick
    Klick.
    Fuck.
    Das Magazin vergessen.
    Kurz hatte er gehofft, Erschossenwerden und Sterben tue gar nicht weh und sei überhaupt folgenlos; allerdings war er gar nicht gestorben, sondern hatte sich im Gegenteil, denn es wurde immer beschissener und zweischneidiger, im Moment des Todes ein wenig eingeschissen und war nun froh über die heldenhafte Länge seines Mantels, den er mit schamhaft liebevollem Stolz fixierte, ein tadelloses Stück aus bestem Hirsch und wahrhaft würdig eines SS -Stürmers, der das Über-, das Herrenmenschliche fertigbrachte, einen in ihm selbst verpuppten Juden reichstreu abzuknallen. –
    Und umgekehrt.
    Hoppela popoppela, dachte Müller und ließ das Magazin sinken. Das hatte er so recht noch nicht bedacht und abgeschmeckt. Er, Walter Müller, SS -Sturmoffizier, war hier, um einen Juden umzubringen, der er verflixterweise selber war; aber konnte er denn sicher sein, dass als Täter wirklich der SS -Mann Walter Müller akten- und geschichtskundig wurde? Und nicht Walter Müller, der geborene und später von rassisch persilreinen Pflegeeltern erzogene Jude versehentlich gleichen Namens und Herzens? Mit leider weithin identischem Corpus und Kopf? Den’s aber für den Führer wegzupusten galt?
    Und wer bestimmte das eigentlich? War es am Ende der Jude Müller, der ihm, Müller, befahl, und Müller fand ihm bis dato völlig fremde Worte, den psychotischen Fascho-Killer und SS -Vollidioten Müller aus dem Weg zu ballern, bevor der seelenamputierte Hitler-Wichser es mit ihm tat?
    Zu sehen, wer recht hatte, ballerte er sich zweimal in den linken Oberschenkel. So war es zwar halbwegs wahrscheinlich, dass beide beteiligt waren; trotzdem fiel er schreiend hin und war nicht wirklich schlauer. Zumal er erst gestern von einer neuen bizarren Bewegung gehört hatte, einer jüdischen Wehrund Selbstverteidigungsorganisation. War er ihr … erstes Opfer?
    Nein und nochmals nein!
    Den Plan, die Kugeln mit bloßen Fingern wieder herauszupulen, ließ der am Boden Liegende aber aus Schmerzgründen sausen und sah lieber zwei verfeindeten Regenwürmern zu, die unweit seines rechten Fußes aus dem Matsch gekrochen kamen und, kaum einander ansichtig geworden, aufeinander zusteuerten und ringend sich verknoteten – ein allzu billiges Gleichnis, befand der inzwischen stark Blutende und feuerte drei Kugeln in die Szene.
    Juda verrecke.
    Schlecht wurde ihm nun im Oberbauch, ein größeres Magenziehen infolge extremer Schmerzmuskelverkrampfung, und auch die Kraft fühlte Müller nun seltsam entschwinden. So also nahte das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher