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Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I
Autoren: Thomas Gsella
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Motorradhelm verschwand. Der ankerte auf Hupplmosers Schoß und fixierte ihn mit Söderaugen liebend. Durchs hochgeklappte Visier stieg pausenlos süßlicher Rauch aus, obwohl doch Söder, und Hupplmoser schluckte immer süffiger an diesem zarten Wunder, von Haschisch längst zu LSD und Crack gewechselt hatte.
    Mit dem Zeigefinger schrieb dann Söder ginstergelbe Worte in die Nacht: » abgeordneter, presse, vita, gallery, team – yeah, this is my topmodern Homepage, ihr verkackten Schweinebauern! And look, Mädchen kann Yamaha fliegen!« Denn ein Brummbrumm war von nirgendwo gekommen, aufstieg in den Himmel, malte sich über den Köpfen der Luchse zu einem Goya aus Kraft und Verzweifelung, aus elfhundert PS und Baumgartens Oliver (11), explodierte in der Luft und landete in Bayern: ein Aufprall, ein röchelndes Wimmern, dann Ruhe.
    Wissend verdrehte Söder die Augen und zog ein Tittenblatt aus seiner Manteltasche. »Sag du’s, Schorschl. Öffne diesen Stern und lies!«
    Der Hauptfähnrich wusste es aber auswendig: » CSU -Generalsekretär Söder schlägt ein Ausgehverbot für Jugendliche unter vierzehn Jahren nach zwanzig Uhr ohne Begleitung eines Erwachsenen vor. Er will damit Verwahrlosung, Drogenmissbrauch und gestiegene Kriminalität unter Jugendlichen eindämmen. Eltern, die wiederholt ihre Kinder nach zwanzig Uhr alleine auf die Straße lassen, droht Söder mit heftigen Bußgeldern. Auch die Entziehung bzw. Einschränkung des Sorgerechts soll zukünftig bei wiederholter Vernachlässigung schneller erfolgen. Weiterhin spricht er sich für einen Stufenplan aus, wonach bei Vernachlässigung sogar die Sozialhilfe oder das Kindergeld gekürzt werden können . – Söder?«
    »Hauptfähnrich?«
    »Dir haben sie ins Rückenmark gefickt.«
    »Ich hoffte, es wäre niemand dabei gewesen.«
    »So kann man sich täuschen.«
    »Was, Schorschl, soll ich tun?«
    »Diene Satan nicht länger, sondern dem Puttenpaar Liebe und Weisheit!«
    »Wie denn, o Bruder?«
    »Indem du die führende Judenvernichtungs- und Hitlerstadt umbenennest in die Stadt der allerheiligsten Menschenrechte!«
    »So tat ich, Unkundiger.«
    »Dann wiederhole es, Esel.«
    »Die Opfer des SED -Regimes dürfen auch vierzehn Jahre nach dem Fall der Mauer nicht in Vergessenheit geraten. Nürnberg als Stadt der Menschenrechte eignet sich besonders für eine Gedenkstätte.«
    »Summa cum laude. Nun aber sage noch dies: Wie fandest du persönlich den Überfall tschetschenischer Mörder auf die Kinder von Beslan, gut oder nicht so?«
    Von links stampfte Mädchen heran. Grimmig gewahrten die Konkurrenten, dass er aus der Schadenssache quietschfidel herausgekommen war. »Melde mich zurück, Massa«, salutierte das Polittalent und nahm ein neues Psychopilzchen.
    Söder klappte das Visier herunter und säuselte wie betend: »Die Kinder von Beslan haben sich auf ihren Schultag gefreut oder vor ihm ein bisschen Bammel gehabt. Sie haben sich am Morgen an die Hände ihrer Mütter und Väter geklammert und mit großen Augen ihre neuen Klassenkameraden begutachtet. Kinder besitzen eine unglaublich charmante Arglosigkeit, an unbekannte Dinge heranzugehen. Sie hinterfragen ihre Welt jeden Tag aufs Neue.«
    »Kruzitürken, Staubkorn, kretinöses!« Herzhaft hämmerte Hupplmoser dem vor ihm Liegenden auf den Helm. »Arglos hinterfragen, du Ursuppe; aber weiter!«
    »Ich weiß nicht, was einem Menschen im Laufe der Jahre widerfahren muss, um Kinder einsperren, quälen und auf sie schießen zu können. Es gibt keine Rechtfertigung für solche Taten. Und es gibt keine Strafe, die in uns eine Form fühlbarer Gerechtigkeit für ein solches Verbrechen erzeugt. –Aua!«
    Augenblicklich hatte Hupplmoser Schlagkraft und -frequenz erhöht: »Gerechtigkeit für ein Verbrechen … als Form fühlbar … in uns … wie muss es heißen, Einstein? Gerechtigkeit für die Opfer? Rache fürs Verbrechen? Was wollte uns der Markus sagen, a: Kopf ab oder b: nichts?«
    »B.«
    »Und wie flüstert man also goldrichtig in der CSU ? Verrat’ es uns!«
    Vorfreudig warf Söder Pulver ein, erhob die Faust und trällerte: »Blöd, blöder, Söööder! Blöd, blöder, Söööder! Schlimm, nicht wahr?« Mit tränennassen Augen glotzte die gewucherte Amöbe hoch zu Hupplmoser. Der tröstete sie wiegend: »Alles ist gut, Chef.«
    Aber Söder schüttelte die Ohren. »Nichts ist gut. Wir brauchen eine Orientierung in der Erziehung und in den Schulen. Dazu gehört zum Beispiel Benimmunterricht statt
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