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Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I
Autoren: Thomas Gsella
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einen Knast nicht schlecht getroffen habe, sprach sich Radtke Gutes zu und sank dann doch ins Weinen. Drei mal zwei Meter maß seine Zelle. Ein Bett, ein Stuhl, ein Altar mit einer grotesk dicken Männerporzellanfigur, das war alles. Graue Infoblätter lagen auf dem Tisch verstreut, Radtke trocknete die Tränen, las: »Nach-Neujahrs-Silentien. Buddhistische Einkehrtage, 2.–18. Januar, Kloster ›Zum Heiligen Matthäus‹, Uelzen/Niedersachsen.«
    Okay. Er, Radtke, war zeitlebens Gerüstbauer gewesen. Praktisch aus Naturgeilheit gewesen. Aber wie klodoof konnte man eigentlich sein? Die gleichen Zettel hatten bei TUI herumgestanden – aber was hieß schon »die gleichen«? Und was hatte er, Radtke, denn am Arsch gelesen damals, am Tage seines sogenannten Bankraubs, aufgepeitscht wie Nachbars Loempia? Gelesen hatte er, es war nicht anders möglich, statt »Nach-Neujahrs-Silentien« ausgerechnet: »Neujahr nach Silizien«.
    Und eben drum als Flucht-Exil gebucht!
    Fuck und – überhaupt! Hieß die Insel überhaupt – Silizien? Und wo lag dann andererseits »Silentien«? Radtke raisonnierte fiebrig. Versuchte auch herauszufinden, warum er beim Überfall ja strenggenommen viel zu wenig verlangt hatte. Tausend, was ein Pipischeiß! Und außerdem: Mark!
    Was war er denn um Himmels willen für ein Hirnhaufen.
    Die Tür ging auf, hereintrat stumm die Dicke. Sie reichte ihm einen handbeschriebenen Zettel mit der Aufschrift: »Sie werden hungrig sein. Martha kocht warmes Broccoli.«
    Sechs Tage war er nun hier. Sechs helle Wintertage hatte er geschwiegen, zu den Mahlzeiten und Meditationskreisen mit den drei Bahnhofsdamen und sowieso allein in seiner Klosterzelle, in die alltäglich Punkt neun Uhr früh, da lag er Stunden wach, ein Sonnenstrahl maisgold hineinsah, streichelnd eine Zeit das Tischlein, um bis mittags übers Bett, den kleinen Schrank zu wandern, hin zur grasgrünen Zimmertür, die gelber wurde, schließlich zum Waschbecken, dessen weißes Emaille von grauen Bruchlinien kariert war. Omm njoho renge kjo – ich bin mit dem Universum verbunden, es gibt mir alle Kraft und hilft mir, Olaf Radtke, meine Wünsche zu erfassen, zu be-greifen.
    Zehn – neun – acht – sieben – sechs – die Sonne. Radtke lächelte. Wie hatte er getobt am ersten Tag. Ich geh dann mal, tschüssikowski, was soll der Scheiß, ich hab mich halt verlesen. Doch die Damen schwiegen. Sie wussten alles, aber riefen nicht die Polizei. Sie schwiegen. Der Bahnhofssprecher wusste alles, ganz Uelzen wusste alles. Doch die Damen schwiegen. Omm njoho renge kjo – das war Japanisch, aber längst hatte er verstanden. Dass er diesen Schweinemist von Beute noch immer gegen Euro umtauschen konnte, irgendwann, wenn Gras über die Sache gedingst; geweht war.
    So konnte Radtke nicht anders. Machte sich nützlich in diesen stillen Tagen in Uelzen. Wechselte hier eine Glühbirne, dichtete dort ein leckes Abwasserknie; und irgendwann hatte er die tausend Mark – einfach vergessen. Eins war er geworden mit Uelzen, dem Kloster, dem Universum, hatte endlich irgendwie zu sich, Olaf Radtke, gefunden. Als ihm die Klosterverwaltung den vakanten Hausmeisterposten anbot, willigte er freudig ein.
    Seine erste Amtshandlung war der Neuanstrich der Außenfassade. Ob er nicht zufällig so einen richtigen Gerüstbauer kenne, fragte ihn der stockschwule Weihbischof. Nein, sagte Radtke. Ich kannte mal einen, doch den gibt es nicht mehr.
    Und so baute er es selig selber.

    Märchen
    Es war einmal ein Stockholmer Hausmeister von Kind an aber derart böse und hässlich, dass er die ersten fünfzig Jahre seines Lebens schon aus Selbstschutz hinter schwedischen Gardinen verbrachte. Im einundfünfzigsten Jahre aber zog seine Frau die Gardinen versehentlich auf, und wie sprang ihr das Herz, als sie bemerkte, wie wunderschön ihr Mann geworden war! Natürlich nur im Vergleich zu früher; und da er seine schlimme Bosheit nicht lediglich konserviert, sondern dieselbe gar noch gesteigert hatte, erwürgte er kurzerhand die überraschte Olle und versteckte sich nun auch für seine restlichen Jahre hinter schwedischen Gardinen. Die Polizei, die ihn hinter schwedische Gardinen bringen wollte, fand ihn nie, woraus wir ersehen, welch wahrhaftige Esel diese sogenannten Freunde und Helfer sind, auch wenn sie in diesem Fall ihr Ziel durchaus zu erreichen vermochten.
    Alter Trick
    Bekanntlich verwahren Säuglinge der im Amazonasbecken lebenden Naturvölker die letzten Schlücke einer jeden
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