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Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I
Autoren: Thomas Gsella
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mal hin.
    Das sah doch alles schon viel besser aus.
    Dann bemerkte er den Iltis. Kaum eine Mannslänge entfernt lag er in einem dürren Busch und schien ebenfalls zu schlafen. Mit der Grazie eines Gepards warf sich Müller auf das konsternierte Stinktier, drehte ihm den Hals um, saugte ihm das Blut aus und krabbelte zurück in die Pfütze, wo er beide wusch.
    Halali! Die Kumpelinos würden Augen machen; Iltisfrühstück gab’s nicht alle Tage, gehäutet schon rein gar nicht. Stolz kramte er in seiner Hosentasche nach dem Faustkeil … na, wo war er denn …? O nein, dachte Müller dunkel ahnungsvoll – begann zu zittern … und sah, wie ein bushoher Kugelblitz schnurstracks auf seine Pfütze zuhielt. Aah! Er wollte fliehen, doch die erwachten Kumpelinos, verfaulte Zombies allesamt, hielten ihn am Boden fest, schlugen ihre ungeputzten Zähne in sein Fleisch und deklamierten schmatzend:
    »›Wer den Faustkeil nicht ehrt, ist des Talers nicht wert!‹ Goethe, Köchelverzeichnis 4711.«
    Häh? Wie?!
    Und da erwachte er.

DER DOPPELTE WALTER
    Eine Meldung und ihre Geschichte
    Aus: Süddeutsche Zeitung, 27.02.2007
    Er hörte einen Knall und wähnte sich verstorben, bis er die Augen öffnete und sprach: Ich bin. Fraglos stand er ja immer noch vorm Kartoffelacker, der, knapp sieben Hektar groß, am Horizont überging in die dunstige Weite der schwäbischen Alb. Dann knallte es wieder, und im rechten Augenwinkel sah Walter Müller einen bescheuerten Traktor vorbeiknattern; voller Mist und mit offenbar defektem Vergaser kam er auf dem gleich hinter ihm schlängelnden Feldweg angepullert.
    Ein dritter Knall.
    Traurig nahm der Zweiunddreißigjährige die Pistole von der Schläfe. Sogar jetzt, in diesem unheilvollen und dennoch heiligen Augenblick maltraitierte der Jud, entwürdigte und vergiftete noch seinen, Müllers, letzten Atemzug und Heimgang. Traktorbedarf Goldmann: seit ewig in jüdischer Hand wie viel zu vieles in Waiblingen und dem Planeten als Ganzem in diesem großen deutschen Schicksalsjahr 1933. Sabotageware war das durch die Bank, wütete inwendig Müller, den deutschen Landmann wollten sie treffen, ihn nervlich schwächen und ruinieren mit knatternden knallenden Auspuffen.
    Auspuffs?
    Noch stärker drückte es nun Müller. In Puffs würde er, der das Einsetzen eines leichten Nieselregens gewahrte, ja praktisch nicht mehr gehen und schon gar nicht mit dem neuen Cabrio hinfahren können nach seiner Selbsttötung, seiner heldischen Selbsterschießung in etwa zwei Minuten spätestens, trieb sich der junge Mediziner nun zu tapferer Tat und Eile und plazierte die Mündung wieder an seinen vollen, über den Ohren kühn geschorenen Lockenkopf, eher lustlos immer noch, zumindest unentschieden und wohl doch ein wenig angstgepeitscht.
    So, dachte Müller, wird das selbstverständlich nix, Heil Hitler! Der Satz »Erschießen geht über Probieren« plumpste ihm ins Hirn und blieb hängen, vielleicht hundert idiotische Sekunden vermochte der erfolgreiche Klinikarzt nichts anderes zu denken und missbilligen als diesen sinnlos blöden Quatsch und Psychozwang.
    Als es aufhörte, war es aber auch nicht gut; denn augenblicks musste Müller, der hoffnungsvolle Akademiker und bis ins Mark beseelte Hitlermann und SS -Stürmer wieder unmissverständlich erkennen, warum er hier mit einer geladenen Schießpistole herumstand, an diesem für ihn im Nachhinein gewisslich ehrenvollen und doch zur Zeit noch eher teuflischen und jedenfalls verzwickten 28. Juni 1933 hier herumstand vor diesem langweiligen Stadtrandkartoffelacker, Spielstätte seiner Kindheit und Jugend zwar, doch Gott, welch ein sacködes Schlusspanorama – nämlich um sich die Birne auf eigenen Befehl und höchstpersönlich für Deutschland herunterzuballern.
    Für Führer, Volk, Vaterland und last, but not least natürlich seine allerliebste Gattin Marianne.
    Hasta la vista!, schrie er, sich Mut machend, nun gar versehentlich auf Spanisch los und brachte das Schießeisen vor Schreck so kraftvoll an die Stirn, dass es wehtat und er das Werkzeug doppelt verdutzt wieder sinken ließ; in der Tat war, als er die Stelle mit dem Zeigefinger zart umtastete, eine kleine schmerzende Beule gewachsen. Die, und erstmals seit Stunden lächelte der Todsuchende süß melancholisch auf, ihn nun ins Grab begleiten und womöglich noch munter anwachsen würde bis zur letztgültigen Leichenstarre seiner, Walter Müllers sel. – ein kapitales Horn, grinste Müller ironisch, das am Ende gar
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