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Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I

Titel: Blau unter Schwarzen - Gesammelte Prosa I
Autoren: Thomas Gsella
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Muttermilchration stundenlang im Mund, wo sie dank der umgebenden feuchten Hitze vollständig durchsäuern und, schließlich geschluckt, die noch recht anfälligen Magenwände der Kleinen mit einer schützenden probiotischen Pilzkultur auskleiden. Lange wurde gerätselt, warum den Säuglingen nicht trotzdem ein bisschen schlecht wird, jetzt kam heraus: weil ich mir alles nur ausdachte, aber die Vokabel »bekanntlich« zumal in einer bekanntlich vom Bluff bestimmten Wissensgesellschaft [Fragment]

PAUL MÜLLERS TRAUM UND GLÜCK
    Ein fürchterlicher Alptraum warf ihn hin und her, das darf nicht wahr sein, dachte er und kniff sich in den Arm, doch er erwachte nicht, so gab es kein Entrinnen: Seit offenbar 1977 war er mit Fürstin Gloria von Thurn und Taxis verheiratet. Sie hatten zwölf adoptierte Kinder zwischen zwei und fünfundvierzig, sic, und heute feierte, in Schneeweiß und mit allem Etepetete, ihre Sudan-Erwerbung Uschi Mpong Clarissa die Heilige Kommunion. Geladen war die Creme der europäischen Königs- und höheren Adelshäuser, dreitausend Pfund festkochende Kartoffeln und viertausendsiebenhundert Eier hatte er, Waldfried Imo Freiherr von Thurn und Taxis, geb. Paul Müller von, und bis in den Traum hinein war ihm sein Familienname peinlich, von Duisburg – hatte er also im Vorfeld pellen müssen – und dann, als die »illustren Gäste«, wie es wiederum saublöd hieß, auf Schloss Neuschwanstein einflogen und eintrudelten, die pure Erkenntnis: Es gab kein Besteck.
    Ach du grüne Neune!
    Ausdrücklich hatte Glori-Schnucki, wie sie sich seit kurzem lustig nennen ließ, »Glori-Schnucki von Überlandbussen und Taxis«, unsagbar grauenhaft auch das, ihn gebeten, diesen schlichten wie unverzichtbaren Part zu übernehmen; auf die Diener könne man sich schließlich nicht mehr verlassen seit Hitler, so die weniger edle als vielmehr froschdoofe Gattin geziert. Er hatte es ihr in die Hand versprochen, kein Problem, Besteck konnte er, hatte er immer gekonnt – nun aber standen sie da: der dänische König Ottfried Fischer nebst Königin Veronica Ferres, die rumänische Erbkaiserin Anne Will, Lukas Podolski mit der Krone Frankreichs, Sissi im Hochzeitskleid, sogar der wie ein junger Old Shatterhand aussehende Papst hatte sich die Ehre spendiert – nun standen sie also da mit ihrem bereits großzügig aufgeschaufelten Kartoffelsalat Marke ihm, geb. Paul Müller von Duisburg (Essig, Schmand und Eier satt) – und speisten die etwas zu lang gerührte, leicht matschpampene Köstlichkeit mit ihren absolut bloßen Händen! Wie die Affen stopfte und schmierte sich die feine Sippe voll, und wer war’s inschuld?
    Er.
    Gläser hatte man ja ebenfalls an keine gedacht.
    Von Zahnstochern, Flaschenöffnern, Korkenziehern und Servietten zu schweigen. Und so streunten die Blaublütler nach dem Mittagessen sichtlich versaut und pikiert, ja geschockt herum in diesem himmlischen und jedenfalls pompösen Hofgarten derer von Überlandbussen und Taxis, hielten die am Hals abgeschlagenen Wein-, Sekt- und Bierflaschen zunächst widerwillig, später indifferent und schließlich wie angeboren in den Händen und soffen, zögerlich zuerst, dann immer zügiger, bis die Kommunion seiner, ihrer Tochter in einem Abgrund aus Maskenball und Walzer, Cricket und Fuchsjagd, sinnlosem Durcheinandersex und diplomatischen Anschlussverwicklungen bis hin zur Atomschlacht zwischen laut F.A.Z-Online Island, Böhmen und Darmstadt …
    Darmstadt …
    … ???!!! …
    Und da erwachte er. Endlich ward er schweißgebadet wach, schaltete die zahnfarbene Couchlampe an, erfasste seine Kleinwohnung mit einem Blick und nickte erleichtert: okay. Der Spuk war vorbei und alles wie immer. Unter der heruntergerissenen Gardine schlief Benno, beide Pfoten unterm Kinn, auf einer alten Pizzapackung. Im Türrahmen, wie üblich auf beide Pfosten verteilt, hockten die behinderten Hausmeister und spielten halbherzig abwechselnd Skat und Schnickschnackschnuck, weil Mutti, ihr dritter Mann, wieder mal auf dem verbeulten Kühlschrank saß, lauthals Fingernägel biss und in die Gegend spie, Audio hörte und mit nackten Fersen munter gegen das Eisfach schlug. Trommelte und taktete. Na also, dachte er und guckte glücklich noch mal hin.
    Das sah doch alles schon viel besser aus.
    Glucksend sprang er von der Schlafcouch, sauste in den Morgenmantel, knipste Mutti verliebt mit der Digitalkamera, langte in den Brotkorb, warf Benno eine alte Knackwurst auf den Kopf und musste plötzlich
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