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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart
Autoren: Gabrielle Zevin
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doch katholisch, oder?«
    Ich antwortete nicht.
    Charles Delacroix gähnte.
    »Lange gearbeitet?«, fragte ich.
    »Ja, sehr.«
    »Danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, wo Sie doch so beschäftigt sind«, sagte ich sarkastisch.
    »Schon gut, Anya, du und ich, wir konnten immer offen miteinander reden, also von daher«, setzte er an. Dann holte er einen Tablet aus seiner Tasche und stellte ihn an. Er drehte ihn zu mir herum. Ein Foto zeigte Win und mich. Win hielt über den Tisch hinweg meine Hand. Es war am Freitag aufgenommen worden. Wie lange hatte er meine Hand in seiner gehabt? Keine zwei Sekunden, dann hatte ich sie ihm entzogen.
    »Das ist nicht das, wonach es aussieht«, sagte ich. »Win hat mir die Hand gegeben. Wir versuchen einfach nur … na ja, Freunde zu sein. Das war nur ganz kurz.«
    »Das glaube ich dir gerne, aber zu unser beider Unglück dauerte diese Unüberlegtheit so lange, dass jemand ein Foto davon machen konnte«, sagte er. »Am Montag kommt eine neue Meldung heraus mit diesem Bild und der Überschrift: Charles Delacroix und die Mafia: wen er kennt und was das für seine Wähler bedeutet . Versteht sich von selbst, dass das nicht gerade von Vorteil für mich ist. Oder für dich.«
    Ja, das sah ich ein.
    (…)
    »Jedenfalls haben die Freunde von meiner Gegnerin Bertha Sinclair, gar nicht dumm, einen Plan ausgeheckt, der dich und meinen unglückseligen Sohn wieder zusammenführen sollte. Sie mussten nur noch auf ein Foto von euch beiden zusammen warten. Auf einen Kuss. Ein Date. Da ihr das jedoch nicht geliefert habt, nahmen sie das, was sie bekommen konnten. Eine unüberlegte Sekunde, als Win über dem Tisch nach deiner Hand griff.« 
    Meine Wangen brannten bei der Erinnerung. Ich war dankbar für die schwache Beleuchtung.
    »Ehrlich gesagt, wundere ich mich, dass er sich so lange zurückgehalten hat. Win ist nicht gerade bekannt für seine Selbstbeherrschung. Der Junge ist wie seine Mutter – viel Herz, wenig Verstand. Seine Schwester Alexa, die war so wie ich. Mutig und vernünftig. Eigentlich war sie wie du. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum der Junge dich so anziehend findet.«
    Ich schwieg.
    »Also, um es zusammenzufassen: Jedes Mal, wenn über die Beziehung von Win und dir berichtet wird, können die Medien mir unterstellen, dass ich korrupt bin, ohne dass die Leute von Sinclair auch nur einen Pieps von sich geben müssen.«
    »Aber das ist doch jetzt vorbei«, wandte ich ein. »Das Foto wird morgen gedruckt. Und damit ist es Geschichte. Sie bekommen einen kleinen Dämpfer, danach haben es alle vergessen.«
    »Nein, Anya. Das ist nur der Anfang. Sie werden dich jeden Tag nach der Schule abfangen. Sie werden versuchen, Fotos von dir in der Klasse zu machen. Weil deine Freunde jung und arglos sind, werden sie Wege finden, die Presse mit Fotos zu versorgen. Da braucht Win nicht mal mehr deine Hand zu halten, damit die Presse wieder mit dieser Geschichte kommen kann. Es reicht, wenn er nur neben dir steht. Wenn jemand sagt, Win war im selben Gebäude wie du. Dieses Bild ist der Wendepunkt, verstehst du das nicht?«
    »Aber Win hat doch eine Freundin! Können Sie das nicht einfach der Presse sagen?«
    »Man wird behaupten, dass Bilder nicht lügen und dass Alison Wheeler eine Marionette ist.«
    »Eine Marionette?«
    »Eine Strohfrau. Eine Inszenierung. Jemand, der in meinem Auftrag handelt, damit es so aussieht, als seiest du nicht mehr mit Win zusammen.«
    »Aber ich bin nicht mehr mit ihm zusammen!«
    »Das glaube ich dir ja. Und wenn die Umfragen besser wären …« Charles Delacroix sah mich mit müden Augen an. »Ich habe überlegt, was ich tun soll, und mir ist nur eine Lösung eingefallen, die dieser Geschichte ein Ende macht.«
    »Mich wieder hier reinstecken? Aber ich habe nicht gegen unsere Abmachung verstoßen! Sie können doch niemanden einlochen, nur weil er Ihrem Sohn die Hand gegeben hat. Ich werde dafür sorgen, dass Mr. Kipling an die Presse geht, dann stehen Sie wie ein Ungeheuer da.«
    Charles Delacroix schien nicht zu hören, was ich gerade gesagt hatte. »Aber du hast gegen mehrere Gesetze verstoßen, seit du aus Liberty entlassen wurdest, nicht?«
    Er drehte seinen Tablet wieder zu mir herum. Zuerst kam ein Bild von mir, wie ich auf dem Union Square mit Schokolade bezahlte. Dann ein Foto, auf dem ich bei Fats Kaffee trank. Schließlich eine Aufnahme, wie ich aus Yuji Onos Wagen stieg. Sie hatte einen Zeitstempel: 0.25 Uhr. In anderen Worten: nach der
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