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Bitterzart

Bitterzart

Titel: Bitterzart
Autoren: Gabrielle Zevin
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sagte er. »Ich wäre am liebsten nicht hier.«
    »Ich auch«, sagte ich. »Du hättest nicht kommen sollen.«
    Dann beugte ich mich über den Tisch, griff in sein Haar, beziehungsweise was davon noch übrig war, und küsste ihn leidenschaftlich auf den Mund.
    In dem Moment war ich ein Mensch ohne Nachnamen, und er ebenfalls. Wir hatten keine Väter, Mütter, Schwestern, Brüder, Großeltern, Onkel und Cousins, die uns erinnerten, was wir anderen schuldig waren oder man uns schuldig war. Verpflichtungen, Konsequenzen, Zukunft – diese Wörter existierten nicht, oder vielleicht hatte ich auch nur kurzfristig ihre Bedeutung vergessen.
    Ich dachte allein an Win und daran, wie sehr ich ihn wollte.
    »Keine Küsse! «, rief eine Wache, die gerade ihren Dienst angetreten hatte.
    Ich löste mich von ihm und war wieder die alte Anya Balanchine. »Das hätte ich nicht tun sollen«, sagte ich.
    Und küsste ihn erneut.
    Möge man es mir vergeben und alles, was ich sonst getan habe.
    *
    *
    *
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Erfahre schon jetzt, wie es weitergeht – mit einer Leseprobe aus

    GABRIELLE ZEVIN, EDELHERB

    Erscheint noch in diesem Jahr bei Fischer FJB

Leseprobe aus Gabrielle Zevin Edelherb
    Nachdem Anya den Sommer in Liberty verbracht hat, ist sie nach Hause zurückgekehrt und muss sich neuen Herausforderungen stellen. Wo soll sie jetzt zur Schule gehen? Die Holy Trinity School ist nicht gerade begeistert davon, eine straffällig gewordene Jugendliche zu unterrichten. Und wie soll es mit ihr und Win weitergehen? Angeblich hat er eine neue Freundin!
    Als eines Morgens früh um 5.12 Uhr bei ihr an die Tür gehämmert wird, stellt sich Anyas Leben erneut auf den Kopf: Es geht zurück nach Liberty! Aber warum?

    Ich kannte diesen Weg, und er konnte nur eines bedeuten:
    der Keller.
    Einmal schon war ich dort gewesen, und der Aufenthalt hatte mich fast umgebracht oder zumindest verrückt gemacht.
    Ich konnte bereits die Exkremente und den Schimmel riechen. Angst kroch mir ins Herz. Ich blieb stehen. »Nein«, sagte ich. »Nein, nein. Ich muss mit meinem Anwalt sprechen.«
    »Ich habe meine Anweisungen«, sagte die Wärterin ohne jede Gefühlsregung.
    »Ich schwöre beim Grab meiner toten Eltern, dass ich nichts Verbotenes getan habe.«
    Die Wachfrau schubste mich, ich fiel auf die Knie, sie rissen am Beton auf. Es war bereits stockduster und stank entsetzlich. Mir kam die Idee, wenn ich einfach liegen bliebe, könnte mich niemand zwingen, dort hinunterzugehen.
    »Mädchen«, sagte die Wachfrau. »Wenn du jetzt nicht aufstehst, schlag ich dich k.o. und trage dich eigenhändig da runter.«
    Ich rang die Hände. »Ich kann nicht. Ich kann nicht. Wirklich nicht.« Nun flehte ich sie an. »Ich kann das nicht.« Ich umklammerte ihr Bein, hatte jede Würde verloren.
    »UNTERSTÜTZUNG!«, rief die Wärterin. »GEFANGENE LEISTET WIDERSTAND!«
    Eine Sekunde später spürte ich seitlich am Hals den Einstich einer Spritze. Ich wurde nicht ohnmächtig, doch mein Kopf wurde leer, ich hatte das Gefühl, alle Sorgen hinter mir zu lassen. Die Frau warf mich über ihre Schulter, als sei ich federleicht, und trug mich drei Treppen hinunter. Ich bekam es kaum mit, als sie mich in der Zelle ablud. Kaum war die Tür hinter mir geschlossen, verlor ich das Bewusstsein.
    Als ich erwachte, hatte ich Schmerzen am ganzen Körper, und meine Schuluniform war verdächtig feucht.
    Vor meinem kleinen Verschlag sah ich zwei übereinandergeschlagene Beine in einer dunklen Schurwollhose, dazu frisch geputzte Schuhe. Ich fragte mich, ob ich Halluzinationen hätte – bisher hatte ich im Keller noch kein Licht gesehen. Der Strahl einer Taschenlampe bewegte sich auf mich zu.
    »Anya Balanchine«, begrüßte mich Charles Delacroix. »Ich warte jetzt schon fast zehn Minuten darauf, dass du aufwachst. Ich bin ein vielbeschäftigter Mann, weißt du. Trostloser Ort hier. Ich darf nicht vergessen, den Laden irgendwann schließen zu lassen.«
    Mein Hals war trocken, wahrscheinlich von dem Medikament, das man mir verabreicht hatte. »Wie viel Uhr ist es?«, krächzte ich. »Welcher Tag ist heute?«
    Er schob einen Thermosbecher zwischen den Stäben hindurch, und ich trank hastig.
    »Zwei Uhr nachts«, erklärte er. »Sonntag.«
    Ich hatte fast zwanzig Stunden geschlafen.
    »Sind Sie der Grund, warum ich hier bin?«, fragte ich.
    »Das ist zu viel der Ehre. Was ist mit meinem Sohn? Oder mit dir selbst? Vielleicht sind es die Sterne? Oder dein kostbarer Jesus Christus? Du bist
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