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Bis zum letzten Atemzug

Bis zum letzten Atemzug

Titel: Bis zum letzten Atemzug
Autoren: Gudenkauf
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das Mikrofon, das an meinem Kragen klemmt. »Es sind Schüsse gefallen. Ich wiederhole, es wurde geschossen.«
    Ein statisches Knistern, dann ertönt Chief McKinneys Stimme in meinem Ohr. »Wir kommen so schnell wir können. Bleib, wo du bist. Verstärkung ist unterwegs. Und Meg«, fügt der Chief im gleichen Atemzug an. »Das da drin ist nicht Tim.«
    Ich zögere, alle möglichen Gedanken wirbeln durch meinen Kopf. Obwohl ich tief in meinem Inneren wusste, dass es sich bei dem Mann nicht um Tim handeln konnte, komme ich einfach nicht dahinter, wer mich so dringend sehen will, dass er eine ganze Klasse voller Kinder als Geiseln nimmt, um mich zu sich zu zwingen. Ich würde gerne fragen, wo Tim die ganze Zeit war, aber dazu ist jetzt keine Zeit. »Zehn-vier«, erwidere ich und weiß, dass ich stehen bleiben und auf Verstärkung warten sollte, aber ich gehe trotzdem weiter. Es muss mein Bruder sein. Der Hurensohn. Ich kann nur an die armen Kinder und ihre Lehrerin denken, die in dem Klassenzimmer gefangen sind. Trotz der bitteren Kälte draußen läuft mir der Schweiß über den Rücken, und ich wische eine Schweißperle von meiner Stirn. Mein Atem geht sehr ungleichmäßig. Ich konzentriere mich darauf, in ruhigen, gleichmäßigen Zügen ein- und auszuatmen. Mit langen Schritten gehe ich den Korridor entlang und werfe einen Blick durch jedes Fenster, an dem ich vorbeikomme.
    Dieser Teil des Gebäudes ist wie ausgestorben. Mrs Olivers Klasse ist die letzte auf der linken Seite. Als ich näher komme, höre ich das untröstliche Weinen eines Kindes. Es ist ein Geräusch voller Angst und Panik, aber es hört sich nicht nach Schmerzen an. Zumindest dieses eine Kind ist körperlich unverletzt. Knappe zwanzig Meter vor der Tür zum Klassenzimmer bleibe ich stehen. Ich drücke mich mit dem Rücken gegen die Wand und schaue in die Richtung, aus der ich gekommen bin. In diesem Augenblick hätte ich gerne die versprochene Verstärkung an meiner Seite. Ich sollte auf das Tac-Team warten, tue es aber nicht.
    »Ich bin hier«, rufe ich. Meine Stimme klingt zu hoch, zu unsicher. »Ist da drin alles in Ordnung? Ich dachte, ich hätte Schüsse gehört.« Keine Antwort. »Ist jemand verletzt?«
    »Nein«, bellt eine männliche Stimme. Ich erkenne sie nicht. Ich will versuchen, ihn am Reden zu halten, um herauszufinden, wer er ist, bevor ich den Raum betrete.
    »Ich bin hier, genau wie Sie es verlangt haben. Wie viele sind noch mit Ihnen in dem Raum?«
    Keine Antwort.
    »Hören Sie.« Ich versuche, mir meine Ungeduld nicht anmerken zu lassen. »Ich will mit Ihnen reden, aber ich muss sichergehen, dass Sie mich nicht in der Sekunde erschießen, in der ich das Klassenzimmer betrete.«
    Wieder Schweigen. Dann die Stimme eines Kindes. »Hier sind drei Kinder und eine Lehrerin. Und der Mann. Niemand ist erschossen worden. Es war ein Unfall.«
    Ich melde mich bei Chief McKinney. »Fehlalarm. Alle sollen in Bereitschaft bleiben.« Dann wende ich mich wieder an den Mann in der Klasse. »Okay, ich komme jetzt rein. Ich bin allein und unbewaffnet«, lüge ich, während ich meine Pistole in das unter meiner Jacke verborgene Schulterholster stecke. Ich werfe einen letzten Blick in den dunklen Flur, denke an Maria und wünsche mir, ich hätte die Gelegenheit, heute noch einmal mit ihr sprechen zu können. Ich atme tief durch, straffe die Schultern und trete selbstbewusst durch die Tür.

WILL
    Will betrachtete immer noch das Foto des Mannes in der Zeitung, des Mannes, von dem Natalie behauptete, er wäre der Geiselnehmer, als sein Handy klingelte.
    »Ja«, sagte er abwesend, während er versuchte, sich zu erinnern, wo er den Mann schon einmal gesehen hatte. Der Name unter dem Foto sagte ihm nichts.
    »Will.« Marlys’ panische Stimme drang an sein Ohr.
    »Marlys? Was ist los? Ist mit Holly alles in Ordnung?«
    »Was ist bei euch los? Holly hat mit Augie gesprochen und sagt, sie hätte Schüsse gehört.« Will musste sich sehr konzentrieren, um seine Frau zu verstehen. Ihre Worte ergaben keinen Sinn. Holly, Augie, Schüsse? »Sie ist hysterisch«, fuhr Marlys fort, die selber kurz vor der Hysterie stand. »Die Ärzte mussten ihr ein Beruhigungsmittel geben. Will, was geht da vor?«
    Will wusste nicht, was er sagen sollte. Er schaute auf und sah, dass Officer Braun ebenfalls telefonierte. Ihre Blicke trafen sich; Braun schaute Will mit einer Mischung aus Mitleid und Resignation an und kam langsam auf ihn zu. In dem Moment wusste Will, dass Marlys ihm
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