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Bis zum letzten Atemzug

Bis zum letzten Atemzug

Titel: Bis zum letzten Atemzug
Autoren: Gudenkauf
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ihren Atem an, bis ihr Rücken sich durchbog und ihr Gesicht eine beängstigend blaue Farbe annahm. Marlys hatte sie dann immer in den Arm genommen und angefleht, zu atmen. »Ignorier sie einfach«, hatte Will sie gescholten. »Je mehr Aufmerksamkeit du ihr gibst, desto öfter wird sie sich so verhalten.« Will fragte sich jetzt, ob das stimmte. Vielleicht hätte er Holly liebevoll auf den Schoß nehmen und sie an seine Brust drücken, ihr ein halb vergessenes Wiegenlied aus seiner Kindheit vorsingen und sie sanft hin und her schaukeln sollen. Vielleicht wäre zwischen ihnen beiden dann alles anders geworden.
    »Meine Güte«, beklagte sich Will bei dem Rosenkranz aus Silber und Granat, der an seinem Rückspiegel hing und dessen Perlen leise gegeneinanderstießen. Genau diesen Rosenkranz hatte seine Mutter ihm in die Hand gedrückt, bevor er zur Grundausbildung abgereist war. Er erinnerte sich, den verzweifelten neugeborenen Kälbern vorgesungen zu haben, deren Mütter eine Gebärmutterdrehung oder einen Vorfall der Vagina erlitten hatten. Hätte er seiner Tochter nicht die gleiche Aufmerksamkeit widmen können? Er fuhr wie ein Henker durch die schneebedeckten Straßen, die dunkel und ausgestorben vor ihm lagen, zur Schule. Es war ihm egal, ob er die Blockade durchbrechen oder in die Schule einbrechen müsste. Er würde seine Enkelkinder nach Hause holen. Und dann zu seiner Tochter bringen.

MRS OLIVER
    Nachdem der Mann sie geschubst und mit der Waffe bedroht hatte, tat Mrs Oliver so, als wäre sie tot. Sie lag ausgestreckt auf dem Boden und versuchte, ihren Atem zu beruhigen und ihre Muskeln zu entspannen. Evelyn, hörte sie Cal schelten. Was hast du dir dabei gedacht.
    Ich weiß es nicht, antwortete sie ihrem Ehemann in Gedanken. Zum ersten Mal in meinem Leben weiß ich es wirklich nicht. Sie erinnerte sich daran, mit Cal vor dem Fernseher gesessen und eine Sendung über eine Naturkatastrophe gesehen zu haben. Obwohl die Ereignisse weit weg stattfanden, waren ihr die Tränen über die Wangen gerollt. »Evie, wein doch nicht«, hatte Cal gesagt. »Wir sind alle immer nur einen Atemzug vom Leben und vom Sterben entfernt. Manche Sachen passieren einfach.« Sie fragte sich, was ihre Kinder auf ihrer Beerdigung sagen würden. Würden sie verbittert sein wegen all der Stunden, die sie mit den Kindern anderer Leute verbracht hatte? Verärgert über die schlaflosen Nächte, die ihr der gleichgültige Vater, die misshandelnde Mutter, die Leseschwäche oder die soziale Unbeholfenheit einer Achtjährigen verursacht hatten? Würden sie vor den mit Liebe gerahmten und aufgehängten Fotos im Haus ihrer Kindheit stehen und die Anzahl der Bilder vergleichen, auf denen ihre Mutter mit anderen Kindern und auf welchen sie mit ihrem eigen Fleisch und Blut posierte?
    Eine Frau übertönte Charlottes Weinen, und das arme Mädchen verstummte sofort. »Du bist das?«, fragte die Frau ungläubig. Mrs Oliver wagte es, ein Auge leicht zu öffnen, um zu sehen, was passierte. Der Mann hatte ihr den Rücken zugedreht. Die Waffe hielt er immer noch fest in der Hand, doch jetzt zeigte sie auf R J. Unter großen Schmerzen hob Mrs Oliver den Kopf, um einen besseren Blick auf den Neuankömmling zu werfen. Es war Officer Barrett, Marias Mutter. War das die Person, auf die der Mann gewartet hatte? Das ergab keinen Sinn. Aber nichts an diesem grausamen Tag hatte bisher einen Sinn ergeben.
    Charlotte und Ethan schauten ihre Lehrerin erwartungsvoll an. Mrs Oliver wollte mit den Schultern zucken, wie um zu sagen, ich weiß auch nichts , doch ihr Körper tat zu sehr weh. Die Blicke der Kinder blieben jedoch fest auf sie geheftet. Sie warteten auf sie, warteten darauf, dass ihre Lehrerin irgendetwas tat.

MEG
    »Stuart?« Ich starre den Mann ungläubig an. »Was tust du da? Nimm die Waffe runter. Bist du verrückt?«
    »Verrückt?« Der Mann lacht freudlos auf. »Ich schätze, das könnte man so sagen. Und zum Teil ist das dir zu verdanken, Meg.«
    »Was soll das heißen? Ich verstehe das nicht …« Der Anblick von Stuart, wie er da im Klassenzimmer steht und einem kleinen Jungen eine Waffe an den Kopf hält, raubt mir den Atem.
    »Hast du es noch nicht gehört? Hattest wohl noch keine Chance, heute die Zeitung zu lesen, hm?«, fragt Stuart leichthin, als unterhielten wir uns bei Häppchen und Bier.
    »Nein, ich habe noch nichts gehört. Warum klärst du mich nicht auf? Ich bin gerade etwas verwirrt.« Ohne meinen Blick von Stuart zu lösen, versuche ich,
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