Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis zum Horizont

Bis zum Horizont

Titel: Bis zum Horizont
Autoren: Richard Paul Evans
Vom Netzwerk:
Taille und befestigte ihn. »Sind Sie bereit?«
    Ich nickte. »Ja.«
    »Jetzt rutschen Sie langsam vor und verlagern Sie Ihr Gewicht auf die Fußballen.«
    Ich schob mich näher an die Bettkante heran, während ich mir den Krankenhauskittel über die Oberschenkel zog. Als ich mit den Füßen den Boden berührte, beugte ich mich langsam vor. Ein unvorstellbarer Schmerz schoss durch meinen Körper. »Ah.« Ich holte noch einmal tief Luft. Ich war wirklich verblüfft, wie heftig der Schmerz war. Die Toilette schien auf einmal meilenweit entfernt zu sein.
    »Doch noch nicht bereit für die Ehrenrunde?«, sagte Norma.
    Ich holte einmal tief Luft. »Das … tut weh.«
    »Wollen Sie weitermachen?«
    »Ja.«
    »Wir werden heute Morgen nur ein paar Schritte versuchen. Babyschritte.« Sie sah Engel an. »Könnten Sie mir behilflich sein?«
    Engel stand auf. »Was soll ich tun?«
    »Helfen Sie mir, ihn zu stützen.« Sie wandte sich zu mir um. »Wir werden Ihnen helfen, aufzustehen.«
    Beide legten eine Hand hinter meinen Rücken, während ich die Arme um ihre Schultern schlang. »Sind Sie bereit?«
    »Ja.«
    »Los geht’s.«
    Ich rutschte bis zur Bettkante vor. Meine Augen tränten vor Schmerz, und ich stöhnte leise auf.
    »Immer schön langsam«, sagte Norma. »Wir haben es nicht eilig.«
    »Ich schon«, sagte ich. Ich biss die Zähne zusammen, dann beugte ich mich vor, bis ich stand. Beide Frauen nahmen ihre Hände fort, blieben aber in der Nähe.
    »Wie fühlen Sie sich?«, fragte Norma.
    »Als hätte man mich in zwei Teile geschnitten und wieder zusammengeklebt.«
    »Das kommt ungefähr hin.«
    Ich tat einen kleinen Schritt mit dem rechten Fuß. Um genau zu sein, war es eher ein Schlurfen als ein Schritt, ich schaffte etwa fünfzehn Zentimeter. Ich hielt kurz inne, dann zog ich den linken Fuß bis zu meinem rechten nach. Das ist schlimm , dachte ich.
    »So ist es gut«, sagte Norma. »Sie haben’s geschafft. Und jetzt versuchen Sie es gleich noch einmal.«
    Ich schlurfte wieder vorwärts. Ich kam mir vor wie ein alter Mann. Auf halbem Weg zur Toilette begann ich, mich zu fragen, wie ich es wieder zurück zum Bett schaffen sollte. »Ich glaube, ich gehe besser wieder zurück.«
    »Versuchen Sie, sich umzudrehen«, sagte Norma.
    Ich schlurfte im Kreis, bis ich das Bett wieder im Auge hatte. Noch vor drei Tagen hatte ich meine Wege in Meilen gemessen. Jetzt zählte ich Schritte. Achtzehn Schritte, und ich war erschöpft. Ich ging zurück zum Bett, drehte mich um, setzte mich auf die Bettkante und ließ meinen Oberkörper nach hinten sinken. Zum Glück hob Norma meine Beine auf die Matratze.
    »Das war gute Arbeit«, sagte Norma. »Für den Anfang war das sehr gut.«
    »Das war alles andere als gut«, sagte ich.
    »Und ob es das war«, erwiderte sie. »Sie sind nur schwerer verletzt, als Sie dachten.«
    Bis zu diesem Moment hatte ich die Augen vor meinem Zustand verschlossen. Ich hatte mir – der warnenden Worte meiner Ärztin zum Trotz – gesagt, dass ich mir einfach meinen Rucksack schnappen und das Krankenhaus verlassen würde. Tatsächlich würde ich noch eine ganze Weile brauchen, um mich zu erholen. Der Gedanke rief mir McKales Wochen in der Reha-Abteilung des Krankenhauses schmerzlich in Erinnerung.
    »Ich weiß, es sieht nicht so schlimm aus, aber Ihre Bauchmuskeln wurden durchtrennt. Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis Sie wieder der Alte sind.«
    In diesem Augenblick packte mich Wut auf alles, was mich ausgebremst hatte: auf meinen Körper, auf das Hilton, das kein freies Zimmer gehabt hatte, auf die Gang und vor allem auf den Jungen mit dem Messer, der auch irgendwo auf dieser Etage dieses Krankenhauses lag. In einem Krankenhausbett dahinzusiechen, hatte nicht zu meinem Plan gehört. Hatte ich denn nicht schon genug gelitten?
    Noch schlimmer wurde alles dadurch, dass ich schon jetzt die Jahreszeiten gegen mich hatte. Ich hatte vorgehabt, Idaho, Montana und dann Wyoming zu durchqueren und mit etwas Glück die Berge hinter mir zu lassen, bevor die schwersten Schneefälle einsetzten und die Highways gesperrt wurden. Diese Hoffnung war jetzt dahin. Bis ich wieder gehen konnte, würden die Straßen unpassierbar sein. Ob es mir gefiel oder nicht, ich saß bis zum Frühjahr hier fest.
    Nachdem Norma das Zimmer verlassen hatte, schob Engel ihren Stuhl etwas näher zu mir heran. »Alles okay mit Ihnen?«
    »Was glauben Sie denn?«, fuhr ich sie an. »Das Gehen war das Einzige, was ich noch hatte. Und jetzt sitze
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher