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Bis zum Horizont

Bis zum Horizont

Titel: Bis zum Horizont
Autoren: Richard Paul Evans
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ich bis zum Frühjahr an diesem gottverlassenen Ort fest.«
    Sie sah mich an. Ihr Blick verriet, dass ich sie verletzt hatte. »Es tut mir leid.«
    Ich seufzte. »Nein, mir tut es leid. Es ist nicht Ihre Schuld. Ich bin nur so wütend.«
    Nach ein paar Minuten Schweigen sagte sie: »Vielleicht sollte ich jetzt besser einkaufen gehen. Brauchen Sie irgendetwas?«
    Ich konnte nicht glauben, wie freundlich sie zu mir war, obwohl ich sie eben angebrüllt hatte. »Pop-Tarts«, sagte ich.
    »Pop-Tarts?«
    »Erdbeer-Pop-Tarts.«
    »Also gut, Pop-Tarts. Ich bringe Ihnen heute Abend welche mit.«
    »Sie kommen heute Abend wieder?«
    »Wenn es Ihnen recht ist.«
    »Ich weiß nicht, warum Sie das tun.«
    »Ich sehe Sie gern«, sagte sie. »Spielen Sie Karten?«
    »Texas Hold’em, Hearts und Gin Rummy.«
    »Ich werde ein Kartenspiel mitbringen.« Sie stand auf. »Bis heute Abend.«
    »Engel, es tut mir wirklich leid.«
    »Schon gut. Es ginge mir genauso.« Sie berührte meinen Arm, dann ging sie zur Tür hinaus. Nachdem Engel gegangen war, lag ich im Bett und dachte über sie nach. Sie war wirklich nett.
    Etwas später an diesem Nachmittag kam Norma wieder. »Ich habe Ihnen etwas mitgebracht.« Sie hielt mir ein Blatt Papier hin.
    Affectus, qui passio est, desinit esse
passio simulatque eius claram et
distinctam formamus ideam.
    Ich betrachtete den Text verständnislos. »Ich kann kein Latein.«
    »Ehrlich gesagt, ich auch nicht. Es ist ein Zitat des Philosophen Spinoza. Es heißt, und ich gebe es hier etwas freier wieder: ›Das Leiden hört auf, Leiden zu sein, sobald wir uns ein klares Bild davon machen.‹ Mein Vater hat das vor ein paar Jahren zu mir gesagt, als ich eine Totgeburt hatte. Es hat mir geholfen, darüber hinwegzukommen. Ich weiß, dass Sie große Schmerzen leiden und dass Sie frustriert sind. Aber das wird nicht ewig so bleiben, und bevor Sie sich versehen, werden Sie wieder gehen können. Versprochen!«
    Ich sah auf das Blatt Papier. »Könnten Sie es für mich aufhängen?«
    »Sehr gern. Ich hole nur rasch etwas Tesafilm.« Sie verließ das Zimmer.
    Das Leiden hört auf, Leiden zu sein, sobald wir uns ein klares Bild davon machen . Ich fragte mich, ob das der Grund war, weshalb ich einen solchen Drang verspürte, Tagebuch zu führen.
    Als sie wiederkam, klebte sie das Blatt Papier an meine Schranktür. »Wie wär’s hier?«
    »Perfekt.«
    »Wollen wir wieder ein paar Schritte gehen?«
    »Na klar.«
    Ich biss die Zähne zusammen, während ich die Füße zur Bettkante bewegte, und rutschte dann nach vorn. Diesmal kam mir der Schmerz noch schlimmer vor. Norma legte mir den Gehgurt um die Taille.
    »Okay, immer schön langsam. Einen Schritt nach dem anderen.«
    Ich holte einmal tief Luft, machte einen Schritt und spürte einen stechenden Schmerz. Ich hielt kurz inne und machte dann den nächsten. Dasselbe. Ich tat einen dritten, dann hörte ich auf. »Ich kann das nicht.«
    »Es war vielleicht für heute ein bisschen zu viel«, sagte sie sanft. Sie legte meinen Arm um ihre Schulter und half mir langsam zurück. Ich setzte mich und ließ mich nach hinten fallen, und sie hob meine Füße aufs Bett. »Wir werden es morgen wieder versuchen.«
    Ich schloss die Augen und seufzte.
    »Hey, Sie schaffen das schon. Bevor Sie sich versehen, laufen Sie wieder Marathons.« Sie tätschelte mein Bein. »Meine Schicht ist jetzt zu Ende. Wir sehen uns morgen wieder.«
    Nachdem sie gegangen war, versuchte ich, mir ein klares Bild von meinem Leiden zu machen. Es linderte meinen Schmerz nicht.
    Engel kam gegen sieben wieder. Sie trug einen langen, marineblauen Wollmantel und hatte eine Plastiktüte dabei, aus der sie zwei Schachteln Pop-Tarts hervorholte. »Ich habe Ihre Pop-Tarts bekommen«, sagte sie. »Ich wusste nicht, ob Sie lieber die glasierten oder die einfachen mögen, daher habe ich beide gekauft.« Sie stellte die Schachteln auf den Tisch neben meinem Bett.
    »Danke.« Ich öffnete die Schachtel mit den glasierten Gebäckstücken, nahm eine Packung heraus und riss die Folie mit den Zähnen auf. Ich bot Engel ein Pop-Tart an: »Möchten Sie?«
    »Gern.« Sie nahm das Törtchen. Dann bemerkte sie das Zitat, das Norma an die Schranktür geheftet hatte. »Was ist das denn?«
    »Das habe ich von Norma bekommen.«
    Sie kniff die Augen zusammen, während sie es las. »Emotion, was Leiden heißt, hält inne … nein, hört auf, Leiden zu sein, wenn eine klare und deutliche Vorstellung davon geformt wird.«
    »Sie können
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