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Bis zum Horizont

Bis zum Horizont

Titel: Bis zum Horizont
Autoren: Richard Paul Evans
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    Ein paar Monate nachdem ich überfallen, niedergestochen und bewusstlos auf dem Seitenstreifen des Highway 2 im Bundesstaat Washington liegen gelassen wurde, fragte mich eine Freundin, wie es sich anfühlt, mit einem Messer verletzt zu werden. Ich sagte ihr, es täte weh.
    Im Ernst, wie soll man Schmerz beschreiben? Manchmal werden wir von Ärzten aufgefordert, unseren Schmerz auf einer Skala von eins bis zehn einzustufen, als ließe sich mit dieser Zahl irgendetwas Zuverlässiges aussagen. Meiner Ansicht nach benötigt man dafür ein objektiveres Bewertungssystem auf der Basis eines Vergleichs, wie zum Beispiel: Würden Sie das, was Sie empfinden, gegen eine Wurzelkanalbehandlung oder gegen eine halbe Geburt eintauschen?
    Und womit würden wir emotionalen Schmerz vergleichen – mit körperlichem Schmerz? Emotionaler Schmerz ist gewiss das schlimmere der beiden Übel. Manchmal fügen sich Menschen körperliche Schmerzen zu, um ihren emotionalen Schmerz zu betäuben. Das kann ich gut verstehen. Wenn ich die Wahl hätte, niedergestochen zu werden oder meine Frau, McKale, noch einmal zu verlieren, dann würde ich das Messer vorziehen. Denn wenn das Messer mich tötet, muss ich nicht mehr leiden. Und wenn es mich nicht tötet, wird die Wunde verheilen. So oder so, der Schmerz wird aufhören. Aber ganz gleich, was ich tue, meine McKale kommt niemals wieder. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass der Schmerz in meinem Herzen je aufhören wird.
    Dennoch gibt es Hoffnung – nicht darauf, dass ich McKale je vergessen werde oder auch nur begreifen werde, warum ich sie verlieren musste, aber darauf, dass ich akzeptieren kann, dass es so ist, und irgendwie weiterleben werde. Wie ein Freund kürzlich zu mir sagte: Egal, was ich tue, McKale wird immer ein Teil von mir sein. Die Frage ist nur, was für ein Teil – eine Quelle der Dankbarkeit oder eine Quelle der Verbitterung? Eines Tages werde ich mich entscheiden müssen. Eines Tages wird die Sonne wieder aufgehen. Ungewiss ist nur, ob ich aufstehen werde, um sie zu begrüßen.
    In der Zwischenzeit hoffe ich vor allem auf Hoffnung . Das Gehen hilft. Ich wünschte, ich wäre schon wieder unterwegs. Denn ich würde lieber irgendwo anders sein als dort, wo ich gerade bin.

Erstes Kapitel
    Wir planen unser Leben in langen, ununterbrochenen Abschnitten, die unsere Träume so durchziehen, wie Autobahnen die Punkte von Großstädten auf einer Straßenkarte verbinden. Aber letztendlich lernen wir, dass das Leben auf den Nebenstraßen und Umwegen gelebt wird.
    Alan Christoffersens Tagebuch
    Mein Name ist Alan Christoffersen, und dies ist das zweite Tagebuch meines Wegs. Ich schreibe diese Zeilen in einem Krankenhauszimmer im Bundesstaat Washington, in Spokane. Ich weiß nicht, wie es kommt, dass Sie mein Buch in den Händen halten. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht einmal, ob Sie die Absicht haben, es zu lesen. Aber falls Sie es tun: Willkommen auf meiner Reise!
    Sie wissen nicht viel über mich. Ich bin zweiunddreißig Jahre alt, ein ehemaliger Werbemanager, und vor sechzehn Tagen habe ich mein Zuhause verlassen und bin in Bridal Trails, Seattle, losgegangen. Ich habe alles zurückgelassen, was offen gestanden nicht viel war, als ich mich auf den Weg gemacht habe. Ich gehe zu Fuß nach Key West, Florida – das sind etwa 3500 Meilen.
    Bevor meine Welt zusammenbrach, war ich, wie es einer meiner Kunden ausdrückte, »ein Aushängeschild des amerikanischen Traums« – ein glücklich verheirateter, erfolgreicher Werbemanager mit einer hinreißenden Frau (McKale), einer florierenden Werbeagentur mit einer Wand voller Preise und Auszeichnungen und einem Zwei-Millionen-Dollar-Haus mit einer Pferdekoppel und zwei Luxusschlitten in der Garage.
    Dann stellte das Universum die Weichen für mich um, und in nur fünf Wochen verlor ich alles. Mein Abstieg begann, als sich McKale bei einem Reitunfall das Genick brach. Vier Wochen später starb sie an den Folgen. Während ich mich im Krankenhaus um sie kümmerte, warb mein Partner, Kyle Craig, all meine Kunden ab, und ich war finanziell ruiniert. Mein Haus wurde unter Zwangsvollstreckung gestellt, und meine Autos gingen wieder an die Leasingfirma zurück.
    Nachdem ich meine Frau, meine Firma, mein Haus und meine Autos verloren hatte, packte ich ein, was ich zum Überleben brauchte, und machte mich auf den Weg nach Key West.
    Ich versuche nicht, irgendwelche Rekorde aufzustellen oder in die Zeitung zu kommen. Ich bin gewiss nicht der Erste, der
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