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Bis zum Horizont

Bis zum Horizont

Titel: Bis zum Horizont
Autoren: Richard Paul Evans
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versuchen, will ich Sie etwas fragen.«
    Ich sah sie erwartungsvoll an. »Ja?«
    »Warum wollen Sie gehen? Was ist Ihr Grund Nummer eins?«
    »Damit ich diesen«, ich musste mich beherrschen, nicht zu fluchen, »Katheter abnehmen kann.«
    Sie sah mich nachdenklich an. »Engel hat mir erzählt, Sie wollen zu Fuß nach Key West gehen. Stimmt das?«
    »Ich habe es versucht.«
    »Dahinter muss eine Geschichte stecken.«
    Ich sah für einen Moment zu Boden. Dann sagte ich: »Im letzten Monat habe ich meine Frau, mein Zuhause und meine Firma verloren.«
    Ihre Miene veränderte sich. »Es tut mir so leid. Das habe ich nicht gewusst.« Sie berührte sanft meinen Arm. »Und deswegen haben Sie beschlossen, zu gehen.«
    »Das Gehen hat mich am Leben erhalten. Ohne Key West habe ich gar nichts.«
    Sie nickte langsam. »Vergessen Sie das nicht. Und jetzt lassen Sie uns ein paar Schritte gehen.«
    Wieder setzte ich meine Füße auf den Boden und begann, mein Gewicht zu verlagern. Tatsächlich war der Schmerz nicht ganz so schlimm wie am Tag zuvor. »Ich bin bereit«, sagte ich.
    Norma stützte mich, während ich aufstand und mich auf den Schmerz gefasst machte. Ich trat einen Schritt vor. Wieder durchzuckte ein Schmerz meinen Körper, aber irgendwie schien er diesmal nicht ganz so heftig zu sein wie zuvor. Ich schaffe das , dachte ich. Ich machte noch einen Schritt, hielt inne, machte dann noch einen. »Ich kann das«, sagte ich.
    »Ich weiß, dass Sie es können«, sagte Norma.
    Ich ging noch sechs Schritte, dann blieb ich einen Moment stehen. Entweder hatte der Schmerz nachgelassen, oder meine Entschlusskraft war inzwischen groß genug, um es mit ihm aufzunehmen. Ich ging noch ein paar Schritte, dann streckte ich die Hand aus und hielt mich am Türknauf des Badezimmers fest.
    Norma lächelte. »Sie haben’s geschafft.«
    Ich holte einmal tief Luft. »Okay, mal sehen, ob ich es auch wieder zurück schaffe.« Ich drehte mich langsam um und ging dann ohne Unterbrechung zurück zum Bett. Norma klatschte in die Hände.
    Als ich wieder gemütlich im Bett lag, fragte ich: »Könnten Sie mir jetzt bitte den Katheter abnehmen?«
    »Sehr gern.« Sie schloss meine Zimmertür, dann streifte sie ein Paar Latexhandschuhe über, schob meinen Kittel hoch und entfernte den Katheter.
    »Na endlich«, sagte ich.
    »Sie haben es sich verdient.«
    Während sie ihre Handschuhe abstreifte, fragte ich sie: »Woher wussten Sie, dass Sie mich nur fragen müssen, warum ich wieder gehen will?«
    »Nach meiner Erfahrung ist es so: Wenn man sich auf das Warum konzentriert, dann erledigt sich das Wie von selbst.« Sie kam herüber und berührte meinen Arm. »Ich bin stolz auf Sie. Ich wusste, Sie würden es schaffen. Ich werde vor dem Ende meiner Schicht noch einmal nach Ihnen sehen.« Sie ging zur Tür.
    »Norma?«
    Sie drehte sich noch einmal um. »Ja?«
    »Danke.«
    Sie lächelte und ging hinaus.
    Den Rest des Vormittags verbrachte ich mit Lesen. Norma kam gegen zwei mit einem Stapel Farbkopien wieder. »Ich habe Ihnen etwas mitgebracht.« Sie reichte mir die Papiere.
    Ich blätterte durch Bilder von Stränden und einem Ozean. »Was ist das?«
    »Bilder von Key West. Ich habe sie aus dem Internet ausgedruckt.«
    »Ich meine, wofür sind sie?«
    »Ermahnungen«, sagte sie. »Ich hänge sie für Sie auf, wenn Sie wollen.«
    Ich gab sie ihr wieder. »Sehr gerne.«
    »Gut. Sind Sie bereit, wieder ein paar Schritte zu gehen?«
    »Ja. Zur Toilette, bitte.«
    Ich legte die Hände auf die Bettkante und stemmte mich hoch. Ich erreichte die Badezimmertür in etwa derselben Zeit wie das letzte Mal. Ich ging hinein, sperrte die Tür ab und benutzte die Toilette. Ein paar Minuten später kam ich wieder heraus. »Jetzt fühle ich mich wieder wie ein Mensch.«
    »Ein kleiner Schritt für den Menschen, ein riesiger Sprung für die Würde.«
    Ich lächelte, während ich zurückging. Als ich mein Bett erreichte, sagte sie: »Das war beeindruckend. Gut gemacht.«
    »Danke, Coach.« Ich setzte mich wieder aufs Bett.
    Sie nahm die Bilder von Key West vom Nachttisch. »Ich hänge die für Sie auf.«
    Es waren sechs Bilder insgesamt. Norma begann, sie an der gegenüberliegenden Wand aufzuhängen.
    »Und? Haben Sie für heute Abend schon große Pläne?«, fragte ich.
    »Mein Mann hat Spätschicht, daher werde ich zu meiner Mutter fahren, um ihr zu helfen, ihren Keller auszuräumen. Sie hat in letzter Zeit diesen Entrümpelungswahn.«
    »Das klingt nett. Ich wünschte, ich
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