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Bis zum Horizont

Bis zum Horizont

Titel: Bis zum Horizont
Autoren: Richard Paul Evans
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Mann einen Berg behauen könnte. Ich kann mir die Sticheleien und Beleidigungen von Ziolkowskis Kritikern nur zu gut vorstellen, und Kritiker hatte er mehr als genug. »Sie sind verrückt, ein Narr, das schaffen Sie niemals«, schallte es ihm von allen Seiten entgegen. Sie riefen es von ihren niederen Plätzen und aus ihren halb ausgehobenen Gräbern. »Die Statue wird nie fertig werden.«
    Aber Ziolkowski wusste es besser und hörte nicht auf die Geister auf den Friedhöfen. Jeden Tag stieg er auf seinen Berg, und mit einem Meißel hier, einer Sprengung da, bewegte er Tonnen von Stein, während sein Traum Gestalt annahm.
    Ziolkowski wusste, dass er die Vollendung seines Werks nicht erleben würde, aber davon ließ er sich nicht abhalten. Als er im Sterben lag, wurde er gefragt, ob er enttäuscht sei, dass er das fertige Monument niemals sehen würde. »Nein«, sagte er, »man muss nur lange genug leben, um andere zu inspirieren, Großes zu schaffen.«
    Und genau das tat er. Während der Berg Gestalt annahm, begannen auch die Massen zu träumen. Und sie setzten sich in Bewegung. Heute kommen Millionen von Menschen aus der ganzen Welt, um Ziolkowskis Berg zu sehen, und ein professionelles Team arbeitet rund um die Uhr, um den Traum voranzubringen. Die Frage ist nicht mehr, ob die Statue fertig werden wird, sondern nur noch, wann .
    Aber Ziolkowskis größtes Vermächtnis ist kein öffentliches, nicht der massive steinerne Berg, den er bezwang, sondern der Berg, den er zuallererst in sich selbst bezwang – einen Berg, den er ganz allein bestieg –, und was diese Leistung bedeutet, können wir alle nachvollziehen. Denn in jedem Leben, ob groß oder klein, gibt es Augenblicke, in denen wir allein über unsere verlassenen Straßen in unendliche Wildnis trotten müssen, um mitternächtliche Stunden von Schmerz und Leid zu erdulden – die Gethsemane-Augenblicke, in denen wir auf den Knien liegen, weinen und in ein Universum hinausschreien, das uns verlassen zu haben scheint.
    Das sind die wirklich großen Augenblicke, in denen sich unsere Seelen offenbaren. Das sind unsere »schönsten Stunden«. Dass uns diese Augenblicke gewährt werden, ist weder Zufall noch Grausamkeit. Ohne große Berge können wir keine großen Höhen erklimmen. Und wir wurden geboren, um große Höhen zu erklimmen.
    Jeder Einzelne von uns steht vor einer Aufgabe, die Ziolkowskis gleichkommt – eine ebenso herrlich absurde Aufgabe: am Stein unseres eigenen Geistes zu meißeln, ein Monument zu schaffen, das das Universum erhellt. Und genau wie Ziolkowskis Monument werden auch wir unsere Aufgabe zu unseren Lebzeiten niemals ganz erfüllen können. Doch letztendlich werden wir feststellen, dass wir nie allein gemeißelt haben.
    Ziolkowski sagte: »Ich sage meinen Kindern, dass sie nie vergessen sollen, dass der Mensch allein kein vollständiges Wesen ist. Es gibt etwas Größeres als ihn, das ihn antreibt.«
    Ich weiß beim besten Willen nicht, ob ich Key West je erreichen werde, aber ich weiß, dass ich niemals aufgeben werde. Und wenn ich meinen letzten Schritt tue, dann wird es keine Rolle spielen, ob ich mein Ziel erreicht habe oder nicht, denn am Ende werde ich ein anderer Mensch sein als der, der aus Seattle fortgegangen ist. Ich habe keinen Berg geformt, aber ich habe mich selbst geformt.

Richard Paul Evans ist der preisgekrönte Autor von bislang zwanzig Romanen, die in mehr als fünfundzwanzig Sprachen übersetzt und zum Teil fürs Fernsehen verfilmt wurden. Die T HE -W ALK -Reihe um den Reisenden Alan Christoffersen hat für Evans eine ganz besondere Bedeutung. Er lebt mit seiner Frau Keri und ihren fünf Kindern in Salt Lake City, Utah.
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