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Bis zum Hals

Bis zum Hals

Titel: Bis zum Hals
Autoren: Jörg Juretzka
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die Tür«, forderte ich und begann, die mit Paketklebeband umwickelte und rings um die Hüfte auf die Haut geklebte Sprengstoffwurst mithilfe einer Schere und eines Skalpells zu lösen. Trotz erbärmlich zitternder Finger bekam ich es ganz gut hin, rollte den bewusstlosen Körper hin und her, schälte Schicht um Schicht des zähen Bands ab, legte die bloße Haut frei und damit auch die Narben, von denen Tina schon gesprochen hatte.
    Kleine, fiese Krater, die meisten, wie Zigarettenglut sie hinterlässt, aber auch ein unbeschreiblich tief in die Haut gepresster Abdruck eines Bügeleisens.
    Alles, schwor ich mir, alles werde ich tun, um dieses Mädchen glücklich zu machen, oder zumindest so glücklich, wie es noch möglich ist, mit Erinnerungen wie diesen.
    Vorsichtig senkte ich den Sprengstoffgürtel in einen Mülleimer, nahm Anoushka wieder auf.
    »Was hast du vor?«, fragte Hufschmidt, obwohl er die Antwort ahnte, ich sah es ihm an.
    »Ich bringe sie weg von hier.«
    »Aber auf gar keinen …«
    »Hier«, sagte ich und warf ihm den ohnmächtigen Mädchenkörper zu. Reflexe sind Reflexe, und so fing Hufschmidt Anoushka auf, mit beiden Armen, und musste völlig baff mit ansehen, wie ich ihm die Dienstwaffe aus dem Schulterholster riss.
    »Jetzt kannst du mit vollem Recht behaupten, zu allem Weiteren mit Waffengewalt gezwungen worden zu sein. Los, geh vor.«
    »Du wirst mich nicht …«
    »Nicht in den Kopf oder den Bauch. Aber wahrscheinlich ins Bein, also mach keinen Scheiß.«
    Er ging vor, Anoushka in den Armen.
    Ich griff mir den Sani und befahl ihm, den Raum abzuschließen und außer der Polizei niemanden mehr hineinzulassen.
    »Notfall! Polizei! Aus dem Weg!« Eine feine Kommandostimme, die er da hat, der Kommissar.
    »Zum Wagen«, sagte ich, dicht hinter ihm, in sein Ohr.
    »Steig ein«, befahl ich, kaum dass wir Anoushka auf dem Rücksitz untergebracht hatten.
    »Was hast du vor, verflucht noch mal?«
    Mittlerweile wimmelte es um das Stadion nur so von Polizei und Grenzschutz, und ich wollte weder jemanden niederwalzen müssen noch eine wilde Verfolgungsjagd riskieren. Alles, was ich wollte, war weg, weit, weit weg. Und für die ersten Kilometer brauchte ich dafür den Kommissar, seine wundervolle Marke und seine wundervoll energische Art.
    Ich ließ den Motor an, ruckte die Fahrstufe rein, hupte einen Trupp Feuerwehrleute aus dem Weg. Irgendjemand in Grün winkte mir, anzuhalten. Ich gab vorsichtig, aber unmissverständlich Gas.
    »Bring uns hier raus, und ich setz dich irgendwo ab.«
    »Kryszinski, das ist eine Terroristin, die da hinter uns auf dem Rücksitz liegt, ist dir das klar?«
    »Tu, was ich dir sage, sonst ziehst du den Rest deiner Tage ein Bein nach«, sagte ich und verzögerte unwillig angesichts gleich zweier auf den Wagen gerichteter Maschinenpistolen.
    Ich konnte nicht zulassen, dass Anoushka verhaftet und den gleichen Leuten wieder ausgeliefert würde, die ihr diese grauenhaften Narben verpasst hatten.
    »Spiel mit, oder ich fahr die beiden da vorne platt, und du weißt, was dann passiert!«
    »Polizeieinsatz! Machen Sie den Weg frei!«
    Und es funktionierte. Wir rollten davon, vorbei an Blaulicht auf Blaulicht auf Blaulicht, vorbei an der Regattabahn, unter der alten Bahntrasse durch, rechts rum, Richtung Mülheim, nach Hause, wie man das so macht, instinktiv.
    Bis man seinen Fehler bemerkt.
    Bis einem aufgeht, dass man kein Zuhause mehr hat. Dass man auf der Flucht ist. In einem der auffälligsten Autos unter Gottes senfgelbem, brütendem Himmel.
    Im ersten Moment wollte ich auf die A3 Richtung Süden abbiegen, erst mal möglichst viele Kilometer abreißen, doch dann fiel mir mein Date mit Ata Riese ein und ich fuhr weiter, querte die Bahn, um die Auffahrt nach Norden zu nehmen.
    »Kryszinski! Diese Frau hat gerade noch versucht, eine unbekannte Anzahl Menschen umzubringen!«
    »Und ich hab’s verhindert«, gab ich zurück, als ob das irgendetwas an seiner Anschuldigung änderte oder mein momentanes Verhalten rechtfertigte.
    »Ich muss diese Frau verhaften, kapierst du das nicht!?«
    Er fing an, mir auf die Nerven zu gehen mit seinem engstirnigen Bullendenken.
    Ich riss den Hummer rechts rum, die Auffahrt hinunter, und Anoushkas Gesicht tauchte im Innenspiegel auf, das Haar verwuschelt, die Miene verwirrt, ungläubig.
    »Es ist vorbei«, sagte ich zu ihr.
    »Nichts ist vorbei«, beharrte Hufschmidt, und ich wusste, ich musste ihn loswerden, fädelte mich deshalb gar nicht erst in den
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