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Wenn die Liebe dich findet

Wenn die Liebe dich findet

Titel: Wenn die Liebe dich findet
Autoren: Johanna Lindsey
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Prolog
    D er Junge stand am Fenster seines Schlafzimmers und betrachtete den fallenden Schnee. Die Schneeflocken rieselten auf die Straße herab. Diesmal würden sie wohl auch liegen bleiben, kalt genug war es jedenfalls. Er liebte Schnee. Er ließ die Straße so strahlend und sauber erscheinen, vor allem nachts, wenn sie von den Straßenlampen erhellt wurde. Das Schlafzimmerfenster ging auf die Straße hinaus. Hier stand er oft – am Tag, um die schicken vorbeifahrenden Kutschen zu beobachten, oder auch in der Nacht, wenn er nicht gleich einschlafen konnte oder aus irgendeinem Grund wach geworden war. In einer solchen Nacht hatte er zum ersten Mal diese Kutsche gesehen, die vor dem Haus anhielt, in dem er mit seiner Mutter Elaine lebte, und nun tat sie es wieder. Sie kam nie tagsüber, sondern immer nur spätnachts.
    Der große Mann stieg aus, sein langer Überzieher wirbelte herum, als er sich umdrehte, um die Tür zu schließen. Er sagte etwas zu seinem Fahrer, und die Kutsche fuhr davon. Der Mann eilte ins Haus. Er hatte einen Schlüssel. Seit der Junge sich erinnern konnte, kam dieser Mann in ihr Haus.
    Bei diesem Haus, in dem er aufgewachsen war, schien es sich um einen ganz normalen Londoner Haushalt zu handeln. Sie hatten ein paar Hausangestellte. Seine Mutter war den ganzen Tag über für ihn da. Und lange Zeit war er so früh ins Bett gegangen, dass er nicht wissen konnte, dass sie nachts nicht für ihn da war.
    Er war gerade sechs Jahre alt geworden, aber er konnte sich nicht erinnern, wann er seine Mutter zum ersten Mal gefragt hatte, wer dieser Mann war. Er wusste nur, dass es schon lange her war. An jenem Tag hatte sie überrascht gewirkt, dass er überhaupt von dem Mann wusste.
    »Lord Wolseley ist unser Vermieter, das ist alles. Er kommt nur vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.
    »So oft?«
    »Nun, wir sind mit der Zeit Freunde geworden. Gute Freunde. Er ist kein glücklicher Mann, und ich leihe ihm meine Schulter zum Ausweinen.« Sie klopfte sich mit einem Grinsen auf die Schulter. »Du kennst sie ja auch, du hast dich immer an ihr ausgeweint, oder nicht?«
    Er erinnerte sich, dass er an jenem Tag verlegen gewesen war. Sie hatte von all seinem Kummer und seinen Verletzungen gesprochen, über die er gar nicht hätte weinen müssen, wenn sie ihn nicht ständig an sich ziehen würde, um ihn zu trösten. Er versuchte, sich vorzustellen, dass der große Mann an ihrer Schulter lehnte und schluchzte, aber es gelang ihm nicht.
    Man hatte ihm erklärt, dass sein Vater gestorben war, als er noch ein Baby war, aber seine Mutter hatte sich stets geweigert, ausführlicher über ihn zu reden. »Diese Erinnerungen bringen mich nur zum Weinen«, behauptete sie jedes Mal. »Eines Tages werde ich dir alles über ihn erzählen, aber nicht jetzt.«
    Aber sie erzählte ihm niemals mehr. Das einzige Mal, an das er sich erinnern konnte, als seine Mutter in scharfem Ton mit ihm gesprochen hatte, war, als er sie mit Fragen über seinen Vater löcherte. Und beim letzten Mal, als er sie nach ihm gefragt hatte, waren ihr Tränen in die Augen gestiegen. Danach fragte er nie wieder.
    Aber der Vermieter machte weiterhin seine nächtlichen Besuche, und der Junge hörte, wie die Tür seiner Mutter leise auf- und zuging. Manchmal trat er in den Korridor hinaus und hörte ihr leises Lachen aus dem Schlafzimmer. Wenn der Mann sie so glücklich machte, warum konnten sie dann nicht einfach heiraten und ihn ebenfalls an ihrem Glück teilhaben lassen?
    Irgendwann in diesem Jahr hatte seine Neugier ihn erneut überwältigt, und er wollte von seiner Mutter wissen: »Wird er mein neuer Vater?«
    Sie zog ihn an sich und antwortete: »Was denkst du dir nur, mein Liebling? Lawrence hat eine eigene Familie, Frau und Kinder. Er ist nur ein Freund. Ich fühle mich oft einsam. Es ist schön, jemanden wie ihn zum Reden zu haben.«
    Kurz darauf begann der Junge zu überlegen, ob wohl Lord Lawrence Wolseley sein richtiger Vater wäre. Sobald ihm dieser Gedanke gekommen war, ließ er ihn nicht mehr los. Und dennoch traute er sich nicht, seine Mutter zu fragen. Sie wollte nun einmal partout nicht über ihren Vermieter sprechen, und über seinen »toten Vater« ebenfalls nicht. Die Vorstellung, dass sie ihn anlog, verletzte ihn sehr. Er hoffte nur, dass er sich irrte, aber er musste es endgültig herausfinden.
    Deshalb ging er heute auf den Flur hinaus. Die Tür zum Schlafzimmer seiner Mutter war wie immer geschlossen. Er klopfte nicht an. Er hörte
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