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Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt
Autoren: Norbert Zähringer
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und die beiden wurden Freunde. Eine Weile lang hatten sie ihren Spaß daran, betrunkene Touristen auszurauben. Sie lauerten ihnen in der Nähe von Bars oder Nachtclubs auf, schlugen sie zusammen, nahmen ihnen alles Wertvolle ab und urinierten zum Abschluss auf ihre zerschundenen Gesichter. Als sie einmal geschnappt wurden, sagte Abel aus, der Kerl, den sie bewusstlos geschlagen, getreten und bepisst hätten, habe Sex von ihnen verlangt. Da habe er ihn eben verprügelt, Maurizio hingegen sei nur daneben gestanden. «Zio wollte mich zurückhalten», sagte er dem Richter.
    Als Abel aus dem Knast heraus war, begannen sie, in Supermärkten zu stehlen, das heißt, sie steckten alles, was in ihre bauchigen Jacken passte, mehr oder weniger unverhohlen ein. Wenn es einen Ladendetektiv gab, der Ärger wollte, bekam er eins mit dem Elektroschocker verpasst. Dann verlegten sie sich auf Tankstellenüberfälle. Abel hatte jetzt eine Pistole, und da war er wohl der Ansicht, dass man auch ein neues Betätigungsfeld brauche, und Maurizio wollte von nun an der Mann mit dem Elektroschocker sein, einem Zauberdings, das ihn schon immer fasziniert hatte. Von Lissabon aus arbeiteten sie sich langsam die Küste entlang, Richtung Süden.
    Ich frage mich, ob es je etwas gegeben hat, das Abel sich wirklich wünschte. Ich meine einen Wunsch jenseits von Geld und Macht und Sex und Drogen und dem, wozu die Werbung uns verführen will. Hat er sich je gefragt, warum wir überhaupt da sind?
    Der Psychologe sagte, ich solle das lassen, solche Grübeleien führten nirgendwohin. Aber das stimmt nicht, Valentina. Denn wie auch immer ich die Fäden durch das Labyrinth der Zeit zurückverfolge, zusammen laufen sie alle bei dir: der Finger, Santos, Abel, Laska. Ohne sie hätte ich deine Mutter wahrscheinlich nie kennengelernt, ohne sie gäbe es dich nicht.
    Vielleicht muss ich auch noch den wilden Maurizio dazurechnen. Denn wer von beiden – Abel oder Maurizio – die Idee hatte, die Apotheke zu überfallen, ist nicht sicher.
    Sicher ist nur, dass ich Abel Campos am 11 . März 2011 in dieser Apotheke erschoss.

[zur Inhaltsübersicht]
    11
    Die kurze Geschichte vom kleinen Hund
     
    Immer noch spürte er diesen Schwindel, immer noch hatte er das Gefühl, in den Himmel, in die Nacht zu stürzen. Neben der Hütte des Hirten lag Konew rücklings auf dem heruntergedrückten, harthalmigen Steppengras, auf seiner Brust ruhte schwer der Armee-Feldstecher, den er tagsüber dazu verwendet hatte, die glühenden Raketentrümmer auszumachen, die nach jedem Start wie Meteore vom Himmel fielen.
    Er hörte ein paar Schafe meckern, hörte die beiden Hunde, die hechelnd die Herde umkreisten, hörte dann den Hirten selbst, der in der Hütte, mehr ein Wind- und Regenschutz als eine dauerhafte Behausung, leise eine Melodie vor sich hin summte. Die Hütte bestand aus einem Teil der Außenhaut einer der Raketen. Eigentlich hatten Konews Soldaten die Aufgabe, nach einem Start die halb verglühten Überbleibsel der unteren Stufen wieder einzusammeln, damit sie nicht in falsche Hände gerieten, wie es hieß. Aber das war eine aufwendige Arbeit, manchmal mussten sie mit ihren Lastern hundert Kilometer weit fahren, und ohnehin konnte er sich nicht vorstellen, dass da draußen amerikanische Agenten mit Kameras herumirrten, um qualmende Aluminiumklumpen zu fotografieren. Die Amerikaner lieben doch den Komfort, dachte er, und in der Steppe nach zerschmolzenen Triebwerksdüsen zu suchen war nicht sehr komfortabel. Deswegen hatte er dem Hirten die Hütte gelassen, die er als Schutz gegen den Wind und die Kälte nutzte, am Ende der Nacht, wenn ihn die vom Tau klamme Jacke frösteln ließ.
    Er sah auf seine Uhr. Es fiel ihm schwer, die schwachen Leuchtziffern zu erkennen. Schließlich wandte er sich wieder dem Himmel zu, dorthin, wo er den Sputnik erwartete. Er hatte sich die Bahn, die ihm der Techniker genannt hatte, genau eingeprägt.
    Der Hirte kam heraus und hockte sich neben ihn, hielt ihm einen Aluminiumbecher mit Tee hin. Konew richtete sich auf, nahm den Becher und trank einen Schluck. Der Tee war heiß und süß.
    «Kann man ihn schon sehen?», fragte der Hirte.
    «Nein, es ist noch zu früh.»
    «Aber dann werden wir ihn sehen können?»
    «Sobald er vorbeifliegt. Hoch über uns. Hunderte von Kilometern. Aber wir müssen schnell sein. Siehst du die beiden hellen Sterne da?»
    «Ja.»
    «Altair und Deneb, dazwischen verläuft seine Bahn. Ich glaube, mit bloßem Auge wirst du ihn
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