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Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt
Autoren: Norbert Zähringer
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ich bin nicht seine Frau und auch nicht seine Geliebte oder so was.»
    «Was sind Sie dann?»
    «Ich weiß es nicht. Ich denke die ganze Zeit darüber nach, aber ich weiß es nicht.»
    Er hielt vor der Auffahrt zu Laskas Haus, das dunkel und verlassen dalag. Sie stiegen aus, und er begleitete sie bis zur Tür.
    «Jemand von der Polizei wird noch mal mit Ihnen reden wollen, morgen oder übermorgen. Wenn Sie bis dahin Hilfe brauchen –»
    «Danke, dann wende ich mich an Sie.»
    «Na dann – gute Nacht.»
    «Gute Nacht.»
    Gouveia drehte sich um, ging Richtung Tor.
    «Haben Sie gute Augen?», rief sie ihm hinterher.
     
    Im Observatorium sah es noch genau so aus, wie sie es zurückgelassen hatten. Die Aufzeichnungen lagen geordnet auf dem Tisch.
    Sie öffnete das Dach, nahm die Taukappe vom Objektiv des Reflektors. «Jetzt müssen wir warten», sagte sie.
    «Als Kind hatte ich auch ein Fernrohr», erzählte Gouveia. «Ein ganz kleines natürlich. Ich habe zwei Jahre drauf gespart.»
    «Haben Sie es noch?»
    «Nein. Ich habe es verkauft.»
    «Warum?»
    «Wir brauchten das Geld.»
    Er sah ihr dabei zu, wie sie in einer Aluminiumkiste zielsicher die verschiedenen Okulare fand, aus ihren Schutzbehältern nahm und bereitlegte, wie sie mit geübten Handgriffen die Ausrichtung des Teleskops überprüfte. Zuletzt zog sie sich die Augenklappe über.
    «Sie sehen verwegen aus.»
    «Ich heiße Anna.»
    «Ich weiß.»
    «Und du?»
    «Yuri.»
    Sie lachte. «Wirklich?»
    «Ja. Mein Vater war begeistert vom Weltall und von der Raumfahrt, obwohl er wenig davon verstand. Er glaubte, das ist die Zukunft.»
    Kurz vor dem Morgengrauen, als der Himmel im Osten sich bereits aufzuhellen begann, nahm sie ihn am Arm und zog ihn neben sich, vor das Okular.
    «Was siehst du?», fragte sie.
    Er kniff ein Auge zu, und es dauerte einige Sekunden, bis sich sein anderes Auge an den Blick ins Dunkle gewöhnt hatte. «Einen ganz kleinen, milchigen Fleck.»
     
    Das Bett war leer. Es stand noch wie in der Nacht zuvor mitten in dem weiß gekachelten Raum, aber die Maschinen daneben waren abgeschaltet, die Kabel hingen ungenutzt in ihren Halterungen.
    «Wir brauchten den Platz», sagte der Arzt, «schließlich wissen wir nicht, was als Nächstes kommt. Deswegen haben wir ihn in ein anderes Zimmer verlegt.»
    Das andere Zimmer war kleiner, und obwohl auch hier Maschinen neben dem Bett standen – kleinere Maschinen, die leisere Geräusche machten –, wirkte es schon eher wie ein Krankenzimmer. Schläuche führten weiterhin zu Laskas Mund und Nase, und auf einem Monitor zeigte eine gezackte Kurve seinen Herzschlag an. Eine dunkelhäutige Frau in blauer Arbeitskleidung wischte gerade den Fußboden, als sie eintraten.
    «Sein Zustand ist immer noch kritisch, aber nicht mehr lebensbedrohlich», erklärte der Arzt, der sie hineingeführt hatte. «Wir halten ihn noch einige Zeit im Koma, bis sich die Werte stabilisiert haben.» Er wandte sich Gouveia zu, senkte die Stimme: «Falls er aufwacht, kann es sein, dass er sich nicht daran erinnert, was passiert ist. Es ist sogar möglich, dass er sich an gar nichts erinnert, dass er niemanden erkennt. Das passiert oft. Nach ein paar Tagen, Wochen oder Monaten kommt das Gedächtnis meistens zurück. Aber bei ihm …»
    «Was ist?», fragte Anna. «Was hat er gesagt?»
    «Dass meine Kollegen so bald nicht mit ihm werden sprechen können. Keine Sorge. Er geht ihm schon viel besser.»
    «Kann er mich hören?», fragte Anna.
    Der Arzt zuckte mit den Achseln.
    «Das weiß niemand», übersetzte Gouveia, «eher nicht.»
    «Also, ich habe noch andere Patienten», sagte der Arzt und ging.
    Anna trat an Laskas Bett. «Wir haben ihn wiedergefunden, hörst du? Er ist zwei Grad Richtung Sonne gewandert, aber wir haben ihn trotzdem wiedergefunden. Ich habe alles übermittelt, Beobachtungszeitpunkt, Position, Bewegung, Größenklasse. Ich habe ihnen sogar eine Zeichnung gemacht. Es wird alles gut.»
    Laskas Brustkorb hob und senkte sich, folgte dem Rhythmus des Beatmungsgerätes. Die Herzfrequenz war unverändert.
    «Er hat Sie verstanden», sagte die Putzfrau plötzlich. Sie hatte sich auf ihren Wischmopp gestützt, die blaue Haube etwas nach hinten geschoben. «Es stimmt nicht alles, was die Ärzte so erzählen. Ich arbeite hier schon lange, und ich bin mir sicher, dass sie uns hören. So wie die im Himmel uns auch hören tun. Wenn ich hier sauber mache, erzähle ich ihnen oft, was den Tag über so passiert ist, und manchmal
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