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Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt
Autoren: Norbert Zähringer
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Zentimeter weiter – will ich gar nicht drüber nachdenken. Mein Täubchen wäre nicht sehr erfreut gewesen.»
    Gouveia fragte, ob Cabrals Frau und die Kinder schon da gewesen seien, was natürlich der Fall war. Sie unterhielten sich über dieses und jenes, aber keiner der beiden erwähnte die Apotheke und das, was sich dort ereignet hatte.
    «Ich wollte jetzt eigentlich ein wenig fernsehen.»
    «Lass dich nicht stören. Was kommt denn?»
    «Das ist mir ganz egal. Ich liege hier noch mindestens eine Woche. Eine Woche, Yuri! Eine Woche lang keinen Dienst, kein Kindergeschrei, keine nörgelnde Ehefrau! Nur meine Fernbedienung und ich.»
    Gouveia versuchte zu lächeln.
    «Geht es dir gut?», fragte Cabral.
    «Klar geht’s mir gut.»
    «Du siehst müde aus. Willst du nicht nach Hause fahren und dich hinlegen?»
    «Campos war sofort tot, haben sie gesagt.»
    «Ja, ich weiß.»
    «Einer von denen aus Vila hat mir auf die Schulter geklopft und gesagt: ‹Gut, dass du den Schweinehund erledigt hast.›»
    «Die haben keine Ahnung, die aus Vila.»
    «Hast du eine Ahnung?»
    Cabral sah ihn lange an. «Ich nicht, aber Tritão.»
    «Tritão?»
    «Hast du dich nie gefragt, warum er so ungern vor die Tür geht? Oder weshalb ihn seine Frau verlassen hat? Aber das ist alles lange her. Heute gibt’s Psychologen für so etwas. Ein paar Wochen auf der Couch, und du bist wieder fit.»
    «Es wird eine Untersuchung geben.»
    «Natürlich wird es die geben. Was regst du dich auf? Ist doch alles auf Video aufgenommen worden. Du hast dir nichts vorzuwerfen.»
    «Du hast recht», sagte Gouveia, «du hast recht.»
    Er überließ Cabral einer Spielshow und suchte die Cafeteria, doch die war längst geschlossen, es war bereits nach Mitternacht. Er wusste nicht genau, warum er nicht nach Hause fuhr, er wusste nur, dass er nicht nach Hause wollte. Er fand einen Kaffee-Automaten und holte zwei Galão – zumindest stand das auf der Automatentaste.
    Dann ging er wieder Richtung Intensivstation. Anna saß immer noch auf einem der Stühle. Der Fernseher lief weiterhin ohne Ton, auf dem Bildschirm war das Innere einer Turnhalle zu sehen, in der Hunderte Japaner, meist alte Leute, auf dem Boden schliefen.
    Er setzte sich neben sie und hielt ihr den Kaffee hin. Sie sah ihn an, und zum ersten Mal zeigte sich der Anflug eines Lächelns auf ihrem Gesicht. Dann tranken sie beide, den Blick auf den Fernseher gerichtet, in kleinen Schlucken den Kaffee, und obwohl es Bilder des Schreckens waren, begann Gouveia sich etwas besser zu fühlen.
     
    Er wusste nicht, wann er eingeschlafen war, aber als er aufwachte, zeigten sie im Fernsehen eine Dauerwerbesendung. Eine einst bekannte Telenovela-Darstellerin, die die Karriereleiter immer weiter hinabgerutscht war, legte sich billigen Schmuck um den Hals, eine Kette nach der anderen, immer mit dem gleichen puppenhaften Gesichtsausdruck. Da wusste er, dass es schon früh am Morgen sein musste.
    Anna hatte den Kopf an seine Schulter gelehnt. Er bedauerte, aufgewacht zu sein, und schloss die Augen, um wieder einzuschlafen, aber es gelang ihm nicht. Damit er nicht auf andere Gedanken kam, verfolgte er die Sendung. Ein Mann, der wahrscheinlich auch einmal eine größere Rolle gespielt hatte, pries Armbanduhren an.
    Wieder schreckte sie hoch, als sich die Automatiktür der Intensivstation öffnete. Der Arzt, der sie einige Stunden zuvor zu Laska geführt hatte, kam heraus.
    «Sie sind ja immer noch hier.» Er schien verwundert. «Sein Zustand hat sich stabilisiert. Hat mich überrascht. Er ist zäher, als ich dachte. Aber noch nicht über den Berg.» Er nickte Anna kurz zu, drehte sich um und ging den Flur hinunter.
    «Was hat er gesagt?»
    «Es geht Ihrem Mann besser.»
    Im Fernsehen war eine Wetterkarte zu sehen.
    «Morgen wird ein schöner Tag», sagte Gouveia und kam sich im selben Moment taktlos vor.
    «Was haben Sie gesagt?»
    «Entschuldigen Sie. Das war dumm von mir. Ich meinte das Wetter. Morgen scheint die Sonne. Keine Wolken.»
    «Wie spät ist es?»
    Er sah auf seine Armbanduhr. «Vier Uhr morgens.»
    «Könnten Sie mich jetzt nach Hause fahren?»
     
    Gouveia war erstaunt, als er feststellte, wie nah beieinander alles war. Die Straße, die von der Hauptstraße abzweigte und fünf Kilometer den Hügel hinauf vor Laskas Haus endete, führte an seinem Apartmentkomplex vorbei.
    «Sie kommen nicht aus Deutschland», sagte er.
    «Nein, aus Kiew.»
    «Aha.»
    «Es ist nicht so, wie Sie vielleicht denken. Ich meine,
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