Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt
Autoren: Norbert Zähringer
Vom Netzwerk:
nicht sehen können. Dann musst du das Fernglas nehmen.»
    «Ich habe gute Augen.»
    «Ich weiß.»
    «Wie oft werden wir ihn sehen können?»
    «In dieser Nacht sechsmal, haben sie gesagt.»
    «Und dann kommt er wieder zurück?»
    «Das weiß ich nicht.»
    «Das weißt du nicht?»
    «Sie haben mir nicht gesagt, was es für eine Mission ist. Ich bin nur der Wachoffizier. Der Missionsverlauf ist geheim.»
    «Das heißt, es kann auch sein, dass er nicht zurückkommt?»
    «Ja.»
    «Dass sein Raumschiff – oder wie nennst du es? – von der Luft glüht wie die Rakete, die jetzt meine Hütte ist?»
    «Ja.»
    «Tut dir das nicht leid? Du hast ihn aufgezogen, deine Tochter hat mit ihm gespielt, und bald ist er vielleicht nichts weiter als ein brennender Stern?»
    «So ist das eben», sagte Konew. «Wenn ich ihn bei dir gelassen hätte, hättest du ihn getötet.»
    «Ich brauchte keine drei Hunde. Drei Hunde sind schlecht. Das bedeutet immer zwei gegen einen, und ich hätte ihn auch nicht ernähren können. Hätte ich ihn verhungern lassen sollen hier draußen? Da ist es besser, wenn ich es gleich und kurz und schnell erledige, anstatt ein armes Tier leiden zu lassen. Ich hätte ihn noch einmal gestreichelt, und er hätte es gar nicht gemerkt. Aber jetzt ist er da oben in dieser Blechdose mit Mäusen und Käfern und hat Angst und wird trotzdem sterben.»
    «Die Wissenschaftler lassen die Hunde fliegen, damit eines Tages wir Menschen ins All aufbrechen können.»
    «Ja, das sind so Worte, Genosse Major, große Worte, aber der kleine Hund wird sterben, und er wird nicht wissen, warum, und es wird für ihn genauso wenig Sinn ergeben, wie wenn ich ihn zuvor getötet hätte.»
    «Das Leben eines Hundes muss keinen Sinn ergeben.»
    Der Hirte sah zu den Sternen auf, die über ihm waren, seitdem er sich erinnern konnte. Er zog den Rotz in seiner Nase hoch und gab dabei ein lautes, röhrendes Schnorchelgeräusch von sich, bevor er den so erschaffenen Schleimklumpen vor seine Stiefel spuckte. «Entweder alles hat einen Sinn oder gar nichts», sagte er.
     
     
    Stimmen. Lichter. Die Blaulichter der Einsatzwagen. Rufe. Schreie. Kommandos. Plötzlich steht sie auf dem Parkplatz, ohne dass sie weiß, wie sie dorthin gekommen ist. Jemand tritt zu ihr, eine dicke Frau, eine Polizistin, und fragt sie etwas auf Portugiesisch, das sie nicht versteht.
    «You’re good?», fragt die Polizistin schließlich.
    «Yes. I’m good.»
    Dann rollt die Fahrtrage an ihr vorbei. Anna läuft neben den zwei Sanitätern her bis zum Rettungswagen, doch als sie mit einsteigen will, drängt einer der beiden sie zurück. Die dicke Polizistin ruft ihm etwas zu, und er packt Anna widerwillig unter dem Arm, zieht sie in die Ambulanz und schiebt sie auf einen Notsitz hinter dem Kopfende der Trage, zischt barsch einen Befehl.
    Laska hat die Augen geschlossen. Eine Sauerstoffmaske liegt über seiner Nase und seinem Mund, ein blasebalgähnliches Tütchen schwillt an und sackt wieder in sich zusammen. Eine Infusion läuft in seinen rechten Arm, der andere der beiden Sanitäter stellt am Schlauch etwas ein. Die Schusswunde ist nicht zu sehen, ist verborgen unter Wundkompressen, Mull und der goldglänzenden Rettungsdecke, die sie, so gut es ging, über ihm ausgebreitet haben.
    Der Sanitäter, der sie auf den Notsitz gedrückt hat, beugt sich über sie, er riecht nach Schweiß und Desinfektionsmittel, klopft gegen die Verbindungsscheibe zur Fahrerkabine. Sie streckt eine Hand aus, sodass ihre Fingerspitzen ganz leicht Laskas Schulter berühren. Der Motor springt an, die Sirenen jaulen auf, und der Rettungswagen beginnt seine heulende Fahrt durch die Nacht.
    Als sie das Krankenhaus erreichen, steigt Anna mit den Sanitätern aus und läuft wieder neben der Trage her, automatische Türen öffnen sich surrend, während sie durch Flure eilen, die sie wegen der zahllosen Zimmer und Abzweigungen und Nebengänge an einen neonbeleuchteten Irrgarten denken lassen. Wie bei einem Staffellauf nehmen auf etwa der Hälfte des Weges zwei Pfleger und eine Ärztin die Trage in Empfang, schieben sie weiter und immer weiter in das Innere des Gebäudes hinein, bis sie an eine Milchglastür kommen und einer der Pfleger etwas sagt, das sie wiederum nicht versteht. Die Ärztin nimmt sie am Arm und zeigt auf eine Reihe Plastikstühle. «You wait here», sagt sie, bevor sie eine Karte durch ein Lesegerät zieht, sodass die Tür sich summend öffnet.
    Sie schieben Laska hindurch, und Anna bleibt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher