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Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt
Autoren: Norbert Zähringer
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gesehen haben könnte. Der Apotheker stand neben der Kasse, als die beiden Männer hereinkamen. Sie trugen Sonnenbrillen und Armeehosen in Tarnfarben. Ich weiß nicht, warum alle Ganoven dieser Welt Armeehosen tragen müssen und glauben, dass eine Sonnenbrille sie unsichtbar macht. Sie hatten die Sache offenbar nicht großartig geplant. Wer sich gerade im Geschäft aufhielt, war ihnen egal. Sie versuchten sich in dem, was wir die «Brasilianische Methode» nennen: Einer der beiden, der kleinere, schirmte den anderen vor den Blicken der Kunden und Angestellten ab, während der dem Apotheker eine Pistole zeigte – einfach nur zeigte, gerade lange genug, dass der Apotheker die Waffe sehen konnte –, seinen Arm dann wieder sinken ließ, dem Apotheker eine Plastiktüte auf den Tresen legte und ihm zunickte.
    Ich sehe, wie der Apotheker ein, zwei Sekunden lang nur auf die Tüte schaut. Nicht auf den Mann, nur auf die Tüte. Und dann die Kasse öffnet.
    Die «Brasilianische Methode» hat den Vorteil, dass man sich ziemlich viele Möglichkeiten offenhält. Wenn der Verkäufer sich weigert, das Geld herauszugeben, oder nicht kapiert, was von ihm verlangt wird, kann man die Sache abblasen und unverrichteter Dinge wieder gehen. In vielen Fällen erstatten die Ladenbesitzer dann noch nicht einmal Anzeige. Ist der mit der Pistole verschwunden, geht das Leben doch so weiter wie zuvor, oder etwa nicht? War alles nur ein böser Traum. Wenn man freilich dringend Geld braucht, wenn das Ganze zu verlockend aussieht oder wenn einen der Verkäufer schief anschaut und man den Eindruck bekommt, man werde gerade kräftig verarscht, kann man auch zur herkömmlichen Methode übergehen: Her mit dem Geld, oder es knallt!
    Während wir zuschauen, wie der Apotheker die Tüte füllt, gebe ich Santos und dem Wachmann ein Zeichen, sich ruhig zu verhalten. Santos versteht mich sofort, bei dem anderen bin ich mir nicht so sicher. Ich taste nach meinem Handy. Ich verfluche den Apotheker, weil er das Geld so langsam in die Tüte stopft. Ich bete zu Gott, an den ich nicht glaube, er möge Cabral, der an ihn glaubt, eine Reifenpanne haben lassen. Ich rufe Cabral an, aber es ist zu spät.
    Alles geht sehr schnell. Ich sehe am Bildschirmrand, dass sich die automatische Tür öffnet, sehe nur Cabrals Silhouette, seine Beine. Er muss die Situation gleich erfasst haben, denn er weicht zurück, und ich sehe ihn nicht mehr. Der mit der Pistole macht zwei Schritte auf die Tür zu und schießt. In unserem Hinterzimmer hören wir die Schüsse. Ich kann nicht sehen, ob Cabral getroffen wurde oder nicht, hoffe aber, dass er unverletzt ist und irgendwo draußen Deckung gefunden hat.
    Ich ziehe und entsichere meine Waffe. Der mit der Pistole wirbelt herum und brüllt, alle sollen sich auf den Boden legen. Dabei richtet er die Pistole mal auf den einen, mal auf den anderen. Der Kleinere zieht etwas aus seiner Jacke hervor. Ich kann nicht genau erkennen, was, vielleicht ist es ein Elektroschocker. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Abwarten? Rausstürmen und mein Glück versuchen? Innerhalb von Sekunden ist aus dem Überfall eine Geiselnahme geworden. Ich überlege, wie lange das Spezialkommando braucht, um hier zu sein. Wahrscheinlich hat Cabral es schon gerufen. Ich schaue mich um. Der Wachmann ist kreidebleich. Er hat sich neben dem Tisch auf dem Boden zusammengekauert. Santos, in dessen Augen ich eben noch glaubte Furcht gesehen zu haben, sitzt ganz still da und hat die Miene eines Mannes, der weiß, dass er am Ende seiner Reise angekommen ist. Lautlos bewegen sich seine Lippen.
    Die Tür vor mir bietet keinen großen Schutz. Zudem ist sie nur angelehnt. Ich blicke wieder auf den Bildschirm und sehe den mit der Pistole gestikulieren. Er deutet in unsere Richtung, dann brüllt er irgendwas, geht zum Apotheker und tritt ihm in die Rippen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis einer der beiden nach hinten kommt.
    Ich hocke mich hin, öffne langsam die Tür. Vor mir sehe ich die Ladenregale. Ein letzter Blick auf den Bildschirm, dann lasse ich mich auf den Boden gleiten.
    Ich robbe zwischen Regalen hindurch, die vollgestellt sind mit Herzdragees, Ginsengextrakt, Gesundheitstees, Muskelaufbaupulver, Erkältungssäften, Hustenbonbons, Kopfschmerztabletten. Ich höre, wie der Größere eine der Verkäuferinnen fragt, ob da noch mehr von ihnen seien, aber die Verkäuferin antwortet nicht, sondern fängt an zu heulen. Da sagt der Apotheker, es seien alle hier, da sei sonst
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