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Das Haus des Buecherdiebs

Titel: Das Haus des Buecherdiebs
Autoren: Alexander Pechmann
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    |9| Das Haus des Bücherdiebs
    Dein Leben ist wie ein Haus ohne Türen und Fenster.

    António Macedo
    Über Bücherdiebe hört man die merkwürdigsten Geschichten. Vor einigen Jahren stieß ich zufällig auf eine Zeitungsmeldung, die von einem besonders unheilvollen Zwischenfall berichtete. Ein Mann hatte in seinem Haus jahrelang Tausende Bücher gehortet, die er zuvor in verschiedenen Bibliotheken gestohlen hatte. Er füllte die Zimmer samt Küche, Bad und Toilette mit immer neuen Bänden, die sich bald zu gewaltigen Bücherbergen auftürmten – bis eines Tages der Fußboden unter der Last nachgab und eine schier endlose Papierlawine in das untere Stockwerk stürzte.
    Es gibt sicher besser dokumentierte Fälle und bekanntere Figuren aus Geschichte und Literatur, die man als Beispiele anführen könnte, doch dieser unglückselige Bibliomane, der seine Sammlung so lange vergrößerte, bis sie unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrach, schien mir die Tragik und Absurdität des Bücherwahns auf eindrucksvolle Weise zu verdeutlichen. Wenn ich mir das Haus des Bücherdiebs vorstelle, frage ich mich stets, welche Motive dieser Mann gehabt haben könnte. Vielleicht suchte er Antwort auf |10| die grundlegenden Fragen nach dem Sinn des Lebens, nach der Existenz Gottes, nach der Wahrheit über Liebe und Tod. Vielleicht genügten ihm die unzähligen Theorien nicht, die er in den Büchern fand. Existierte vielleicht irgendwo im unendlichen Meer des Geschriebenen ein vergessener Satz, der alles erklären könnte, eine geheime Botschaft, die zu absoluter Gewissheit führte? Es gab nur eine Möglichkeit, der Sache auf den Grund zu gehen: Er musste immer weitere Scharteken anschleppen, aufstapeln und lesen, Notizen machen, Lesezeichen setzen und tage- und nächtelang über dem Gelesenen brüten. Und dann, als ihm gerade der befreiende Gedanke kam, als er die wundervolle und doch so unglaublich einfache Lösung für all die Rätsel fand, gab der Boden unter ihm nach und begrub sein Wissen mit einem gewaltigen Donnerschlag.
    Ob es sich wirklich so zugetragen hat und ob man die unergründliche Sehnsucht und unstillbare Gier eines solchen Exzentrikers je verstehen wird, steht in den Sternen, doch führt dieser Gedankengang zu einer anderen, weit interessanteren Frage: Wie weit würde ich, würden Sie, lieber Leser, im Namen dieser rätselhaften Passion gehen und wie weit sind andere gegangen? Könnten wir auf Büchern essen und schlafen wie der berühmte Antonio Magliabechi? Würden wir sechs Häuser mit ihnen füllen wie der berüchtigte Antoine-Henri Boulard? Könnten wir ein Leben lang nach einem bestimmten Werk fahnden wie der arabische Gelehrte al-Bīrūnī? Wären wir vielleicht sogar dazu bereit, die schrecklichsten Verbrechen zu begehen, um den nagenden Schmerz zu |11| lindern, der uns angesichts der hoffnungslosen Unvollständigkeit unserer exquisiten Sammlung befällt?
    Vielleicht sind es nur kleine Schritte, die von der schlichten Freude am gedruckten Wort zu Liebe, Leidenschaft, Besessenheit und schließlich in den Wahnsinn führen. Vielleicht gibt es keinen Weg zurück, wenn man den ersten Schritt erst einmal getan hat. Vielleicht führen schon kleine Sünden in den Abgrund und eine zufällige Begegnung genügt, um einen ehrenwerten Bücherfreund in einen skrupellosen Bücherdieb zu verwandeln.
    So konnte selbst ein frommer (wenn auch keineswegs heiliger) Mann wie Giovanni Battista Pamphili, der spätere Papst Innozenz X., der Gunst des Augenblicks nicht widerstehen. Als er die Bibliothek von Montier besichtigte, fiel sein Blick auf eine seltene Perle der Buchkunst, die er in einem unbeobachteten Moment flink in seine Tasche steckte. Kardinal Barberini, der die Besichtigung leitete, hatte sich für die Rechtschaffenheit seiner Gäste verbürgt und dem misstrauischen Bibliothekar angeboten, bei allen Besuchern eine gründliche Leibesvisitation vorzunehmen. Pamphili verweigerte sie als Einziger. Es kam zum Streit, bald flogen die Fäuste, und mitten im Handgemenge der Kirchenmänner fiel die bibliophile Kostbarkeit aus der Tasche des künftigen Oberhirten. Seit diesem Tag hegte der tief beschämte Pamphili einen heimlichen Groll gegen Barberini. Er tat alles, um ihm zu schaden, und als er den Heiligen Stuhl erklommen hatte, bestand eine seiner ersten Amtshandlungen darin, die Familie des Kardinals aus Rom zu verbannen.
    |12| Die Bibliophilie kennt die verschiedensten Formen und Spielarten. Oft dient sie
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