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Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt
Autoren: Norbert Zähringer
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«Wagenfahrer.»
    «Wir nennen es Fuhrmann», sagte Laska. «Und daneben?»
    «Persej.»
    «Perseus, ja.» Jetzt endlich wandte er sich vom Himmel ab und sah sie an. «Wissen Sie, die meisten Frauen, mit denen ich hier bislang ausgegangen bin, hatten immer Dinge auf ihren Kärtchen stehen, die gar nicht stimmten.» Er nickte, wie um sich selbst beizupflichten. «Verstehen Sie mich bitte nicht falsch», fuhr er fort, «aber sie sagen zum Beispiel, sie lesen gerne, aber dann schauen sie doch nur in Modemagazine. Oder sie behaupten von sich, dass sie ‹neugierig auf alles Neue› sind, aber wenn man ihnen dann wirklich etwas –», er stockte einen Augenblick, suchte nach dem richtigen Wort, «Ungewöhnliches zeigt, fangen sie an zu gähnen.»
    Etwas Ungewöhnliches – der Knilch meint wahrscheinlich ungewöhnliche Sex-Praktiken. Anna überlegte, bei welchen sie gerade noch mitmachen würde.
    «Was hat zu tun mit Sternen?», fragte sie.
    Er zwinkerte ihr zu. «Alles.»
     
    «Da haben sich so ein paar Typen nach dir erkundigt», sagte das Mädchen, das im Wohnheim das Zimmer neben ihr hatte.
    «Was für Typen?»
    «Üble Typen. Alle besoffen. Ich hab nichts gesagt. Dass du jetzt hier wohnst oder so. Ihr Anführer – vor dem konnte man richtig Angst bekommen. Das Gruseligste an ihm war, mhm, also, vielleicht glaubst du mir das jetzt nicht, aber der hatte so ein Stück aus einem alten Treppengeländer – als Bein.»
     
    Am übernächsten Abend fragte Laska, ob Anna ihn nach Deutschland begleiten wolle. Zunächst nur für ein paar Wochen. Eine Art Urlaub. Zum Kennenlernen.
    «Kennen Sie Castrop-Rauxel?», fragte sie ihn.
    Er runzelte die Stirn. «Nein, kenne ich nicht. Bin nie da gewesen.»
    «Gut.»

[zur Inhaltsübersicht]
    2
    Am Flughafen nahmen sie ein Taxi. Es war schon Abend, und als sie die Autobahn kreuzten, ging die Sonne hinter dem Geländer einer Betonbrücke unter, groß und schwer wie ein sterbender Roter Riese im All. Ihren Kopf an das Seitenfenster gelehnt, vertrieb Anna die Gedanken an das, was sie zurückgelassen hatte. Sie schaute in die Dämmerung hinaus, die sich auf die Straßen senkte, und versuchte die Leuchtreklamen zu entziffern – wie der Abspann eines Films in fremder Sprache huschten sie an ihr vorbei. Sie fragte sich, wohin sie gehen würde. Sie hatte nicht vor, länger bei diesem Laska zu bleiben als unbedingt nötig. Mal sehen, wie viel Geld sie ihm würde abnehmen können, ohne ihm allzu nahe zu kommen. Und dann würde sie im Dickicht der Stadt verschwinden. Na gut – eine kleine Schonfrist würde sie ihm wohl gönnen müssen. Immerhin hatte er sich bisher unerwartet anständig benommen. Er hatte nicht darauf gedrängt, dass sie in sein Hotelzimmer kommt, hatte keinen Versuch gemacht, sie zu küssen oder zu umarmen, er hatte ihr nicht an den Hintern gefasst, er hatte ihr in der Hotelbar nicht Dutzende Cocktails ausgegeben, um ihr irgendwann in einem unbeobachteten Moment zwischen die Beine zu greifen. Im Taxi saß er vorne.
    «Wir fahren durch die Stadt», sagte er unvermittelt.
    «Ja.»
    «Wir hätten auch die Autobahn nehmen können, aber ich dachte, du willst vielleicht die Stadt sehen.»
    «Schön.»
    Laska sagte dem Fahrer etwas, und der Fahrer fragte etwas zurück, schüttelte dann den Kopf und murmelte vor sich hin. Aus dem Funkgerät drang eine Frauenstimme, abgehackt und schrill, «Gneisenaustraße … Revaler Straße … Mierendorffplatz … Tour zum Ostbahnhof … Landsberger Allee» – fremde Orte in der Dämmerung.
    Der Fahrer sprach von «viel Verkehr». Anna wunderte sich. Die Straßen waren voller Autos, aber es war kein Vergleich zu Kiew, wo man manchmal eine halbe Stunde auf der Stelle stand, bevor es dann, aus unerfindlichen Gründen, doch weiterging.
    Sie bogen auf eine breite Allee ein, und einen Augenblick lang fühlte sich Anna wie zu Hause. Der Boulevard erinnerte sie an den Kreschatik. Aber es waren nur wenige Menschen auf den Bürgersteigen zu sehen.
    So fuhren sie eine Weile, trieben im Feierabendverkehr an einem Gebäude vorbei, das «Kosmos» hieß, so viel konnte sie lesen. Ihr kam der Gedanke, dass diese beiden da vorne sonst wohin mit ihr fahren könnten, und sie würde es nicht einmal bemerken.
    «Wie heißt die Straße?»
    «Die hier? Karl-Marx-Allee.»
    «Früher mal Stalin-Allee», ergänzte der Fahrer.
    «Und was war Kosmos?»
    «Kosmos?»
    «Das Haus.»
    «Ach das – ein altes Kino. Steht jetzt leer, glaube ich.»
    «Events», sagte der
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