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Bis zum Ende der Welt

Bis zum Ende der Welt

Titel: Bis zum Ende der Welt
Autoren: Norbert Zähringer
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bleiben würde, die Schonfrist, drastisch zu verkürzen. Und Sex kam in dieser Muff-Bude schon gar nicht in die Tüte, buchstäblich nicht. Sollte er sich seinen Adolf schön alleine schrubben.
    «Bier», sagte sie, «und danach Restaurant.»
     
    Sie gingen in ein Restaurant in der Spandauer Altstadt. Laska hatte eine Weile überlegen müssen, welches Restaurant in Frage käme. Nach und nach wurde ihr klar, dass er, sah man einmal von seinem Besuch in Kiew ab, seit Jahren keine Frau mehr irgendwohin ausgeführt hatte.
    Zuvor hatte er ihr noch ihr «Zimmer» gezeigt, einen kleinen Raum unter der Dachschräge, in dem neue, aber schlichte, helle Möbel standen: ein Bett, ein Schrank und ein schmaler Schreibtisch samt Stuhl. Es sah aus wie in einem Hotel, als ahnte Laska, dass sie nur auf der Durchreise war. Na ja, immer noch besser, als gleich mit ihm das Bett teilen zu müssen, dachte sie. Das Einzige, was an dem Zimmer merkwürdig anmutete, war der Teppich: Er zeigte eine Kraterlandschaft, auf der ein paar Astronauten in einem roten Phantasiemobil herumfuhren. Mit ihrer blau-weißen Rakete waren sie unmittelbar unter dem Schreibtisch gelandet: ein kleiner Dicker und ein großer Dünner. Natürlich waren beide Amerikaner, obwohl das Gefährt eher an russische Kosmonauten denken ließ. Es ähnelte sehr dem automatischen Lunochod, einem ferngesteuerten Roboter, den ihr Großvater, dessen letzte Dienststelle vor der Pensionierung das ferne Baikonur gewesen war, ihr einst auf einem Foto gezeigt hatte.
    Beinahe passgenau war der Kinderteppich über den braunen Nadelfilz gelegt worden. Lediglich an der Seite, an der das Bett stand, unter der Dachschräge, sah man einen schmalen Streifen des ursprünglichen Bodenbelags. Der Teppich war nicht neu. Er musste schon Jahrzehnte dort liegen. Hier und da fand sie Konturen von Flecken, die man irgendwann mit geduldigem Aufwand wieder zu entfernen versucht hatte, Stellen, an denen die Krater und Hügel, die grau-gelb leuchtenden Findlinge ausgeblichen und lichter wirkten. Durch die verblasste Farbe hatte der Teppich einen eigenen Charme gewonnen – er erinnerte Anna an Höhlenmalerei. Sie legte ihre Koffer auf das Bett und setzte sich auf den Stuhl. Für einen Moment war ihr Geist vollkommen leer, wie bei jemandem, der im Traum aus einem Flugzeug gefallen ist und erkannt hat, dass es keine Rettung gibt. Dann zog sie sich um.
    «Du willst so in das Restaurant gehen?», fragte Laska.
    «Ja», sagte sie, «ich will. Warum?»
    «Nun, es kommt mir etwas … knapp vor.»
    «Ich mag knapp.»
    «Man kann auch irgendwie durchsehen.»
    Sie stemmte die Hände in die Hüften, hob ganz leicht ihre rechte Augenbraue und sagte nichts.
    «Der Sommer», fügte er hinzu, «ist ja auch eigentlich schon vorbei.»
    «Wenn du mal bist in Ukraine im Winter, weißt du, dass Sommer für mich noch lange nicht vorbei. Wohin gehen wir?»
    «Es ist ein österreichisches Restaurant. Also, schon etwas besser, aber auch nicht zu vornehm.» Er starrte sie an. «Da kommt man auch in Jeans rein.»
    «Österreich – das ist, wo Berge hoch und Schnitzel groß?»
    «Ich war schon länger nicht mehr da.»
    «Gut. Wir gehen.»
     
    Das Schnitzel ragte beinahe über den Tellerrand. Erst als es vor ihr stand, war Anna aufgefallen, was für einen gewaltigen Hunger sie hatte. Laska hatte nur eine Suppe bestellt. Kleine graue Fleischbällchen schwammen in der Brühe, er aß kaum davon, stattdessen beobachtete er Anna.
    Er war nicht der Einzige. Von der Sekunde an, in der sie das Restaurant betreten hatten, ruhten auf ihr die Blicke von Frauen wie von Männern, von Gästen wie von Kellnern. Selbst der ältere Herr am Nachbartisch, ein dünner, klapprig wirkender Mann mit schlohweißem Haar, dessen Gabel vor jedem Bissen einige Sekunden lang über dem Teller zitterte, schaute verstohlen zu ihr herüber, bis es seiner Frau auffiel und sie ihm, seiner Mimik nach durchaus schmerzhaft, mit ihrer Gabel in den Handrücken stach.
    Als sie das halbe Schnitzel gegessen hatte, sagte sie zu Laska: «Was ist mit Familie?»
    «Ich bin alleinstehend.»
    «Du hast mir schon erzählt.»
    «Viel mehr gibt’s da auch nicht zu erzählen.»
    «Was ist mit Frau?»
    «Ich bin Witwer.»
    «Wann ist gestorben?»
    «Was ist mit deiner Familie? Was ist mit deinen Eltern, deiner Mutter, deinem Vater?»
    «Mutter tot, Großpapa und Großmama tot und Vater auch irgendwie tot.»
    «Irgendwie?»
    «Jeder darf haben ein Geheimnis. Ich Vater, du Frau.
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