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Bis Sansibar Und Weiter

Titel: Bis Sansibar Und Weiter
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später hörte ich jemanden Klavier spielen. Bestimmt hatte sich Frau Dollhase-Roggenfeld an den Flügel gesetzt, um sich von mir zu erholen.

Drittes Kapitel
    T ags darauf ging es meinem verletzten Auge ein bisschen besser. Mein Gesicht war allerdings nach wie vor konkurrenzlos hässlich. Ich sehe auch sonst nicht besonders gut aus. Doch als ich nach dem Aufstehen in den Spiegel guckte, begrüßte mich Frankenstein-Juniors Zwillingsbruder. Zu meiner Überraschung bekam ich in der Schule keine blöden Sprüche zu hören. Man beachtete mich einfach nicht. Alle warteten auf Lindas nächsten Auftritt.
    Doch der kam nicht. Nicht an diesem Tag. Und auch nicht am nächsten. Linda saß genau wie wir die Stunden ab, schien ihre Hausaufgaben zu machen, meldete sich von Zeit zu Zeit, sagte nichts besonders Schlaues und nichts besonders Dummes. Wie es aussah, hatte sie sich in eine stinknormale Schülerin verwandelt. Seitdem ich sie vor dem Haus meiner Klavierlehrerin getroffen hatte, hatten wir kein Wort mehr miteinander gesprochen. Eigentlich hätte mir das egal sein müssen. War’s aber nicht. War’s aber ganz und gar nicht. Immer wieder ertappteich mich dabei, wie ich zu ihr hinüberschaute. Sie guckte nicht ein einziges Mal zurück.
    Dann schrieben wir die erste Mathearbeit des neuen Schuljahrs. Seit Tagen schon regnete es. Die Rübenfelder am Stadtrand soffen ab, der Pegelstand des Kanals, der die Stadt in zwei Hälften teilt, stieg unaufhörlich. Die Laune der Fußballspieler aus meiner Klasse, deren Bolzplätze im Morast versanken, verschlechterte sich immer mehr. Sogar unsere Lehrer hatte der allgemeine Trübsinn erfasst.
    Nur Gregor Stratmann nicht, den nicht. Unser Mathelehrer war bester Stimmung. »Bei dem Wetter finden die Herrschaften endlich Zeit zum Lernen«, sagte er mindestens einmal pro Stunde und strahlte wie ein Schokoladenweihnachtsmann.
    Der Stratmann ist erwiesenermaßen der schlechteste Mathelehrer der Schule. Deshalb lassen sie ihn auch nur in der Unter- und Mittelstufe unterrichten. Er kann nicht erklären, er verrechnet sich, er schreibt Rechenwege an die Tafel, die viel zu kompliziert sind. Eigentlich hätten wir beide gut miteinander auskommen müssen, sozusagen von Mathematiker zu Mathematiker. Aber er mochte mich nicht. Er nahm mich nur selten dran und holte mich so gut wie nie an die Tafel.
    Die Aufgaben, die er uns in der Klassenarbeit stellte, waren Pippifax. Kinderkram. Mathematik für Arme. Obwohl ich sie ohne Ausnahme im Kopf rechnen konnte, schrieb ich die Rechenwege ins Heft. Fein säuberlich und Schritt für Schritt. Herr Stratmann saßwährenddessen hinter dem Lehrerpult und passte auf, dass niemand abschrieb. Das ist das Einzige, was er wirklich beherrscht. Vielleicht wäre er ein guter Polizist geworden. Oder Gefangenenwärter im Jugendgefängnis.
    »Linda!«, rief er plötzlich und sprang hinter seinem Pult hervor. »Linda, du gibst sofort ab!«
    Die schaute von ihrem Heft hoch. »Ich? Wieso?«, fragte sie erstaunt.
    »Du hast bei Pia abgeschrieben!«
    »Bei Pia?« Linda lachte verächtlich.
    Herr Stratmann machte einen raschen Schritt auf sie zu und riss ihr das Heft unter den Händen weg. »Deine Arbeit ist eine Sechs, das ist dir doch wohl klar!«, rief er.
    Ganz langsam stand Linda auf. Im Klassenzimmer wurde es still. Nicht nur ich, auch die anderen schienen die Luft anzuhalten. Da war er endlich: der Auftritt, auf den alle so sehnsüchtig gewartet hatten. Linda trat hinter ihrem Tisch hervor und baute sich vor unserem Mathelehrer auf. Ein Meter sechzig gegen einen Meter fünfundachtzig, vierzig Kilo gegen knapp zwei Zentner. Ein ungleiches Duell.
    »Sie sind ein Schwein, Herr Stratmann«, sagte Linda, und ihre Stimme klang jetzt nicht mehr nach Sandpapier und Sahnepudding. Sie war Sprengstoff, reinstes TNT. »Sie sind ein echtes Schwein.«
    Stratmann rang nach Luft. »Du wagst es, so etwas zu deinem Lehrer zu sagen? Das... das wird ein Nachspielhaben, oh ja!«, stammelte er, als er wieder sprechen konnte. »Unser Rektor wird dir schon...«
    »Ich schreibe nie ab«, schnitt ihm Linda das Wort ab. »Ich habe nie abgeschrieben und ich werde nie abschreiben! Hören Sie? Niemals!«
    »Setz dich!«, rief Stratmann mit sich überschlagender Stimme. »Setz dich bloß hin, sonst...«
    »Sonst?«, fragte Linda und machte einen Schritt auf unseren Mathelehrer zu. Der wich zurück, Stratmann wich tatsächlich zurück!
    »Wollen Sie mich fesseln, kreuzigen, vierteilen oder was?«, fauchte
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