Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bis Sansibar Und Weiter

Titel: Bis Sansibar Und Weiter
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
sprachlos. Und Linda stand vor uns an der Tafel und drehte gelangweilt an ihrem Pferdeschwanz. »Wo sitze ich?«, wiederholte sie ihre Frage.
    »Setz dich dorthin«, krächzte unser Klassenlehrer und zeigte auf den Stuhl neben Pia.
    Linda setzte sich, warf ihre Tasche vor sich auf den Tisch, würdigte Pia keines Blickes und beschäftigte sich bis zum Ende der Stunde mit ihrem Pferdeschwanz.
    Als ich am Mittag nach Hause kam, war meine Oma zu Besuch gekommen. Sie stand in der Küche und kochte Makkaroni mit Pflaumen. Sie ist DDs Mutter und hat sich, so lange ich denken kann, um uns gekümmert. Wäre sie nicht gewesen, wäre nach dem tödlichen Unfall alles drunter und drüber gegangen. Ob Beerdigung, Nachfeier, Grabstein oder die Rente für Mama und mich – meine Großmutter regelte, was geregelt werden musste. Ich freue mich immer, wenn sie uns besucht. Oma kocht gut und reichlich. Vor allem reichlich.
    »Wie geht’s Irene?«, wollte sie wissen, nachdem sie mich zur Begrüßung an ihren außerordentlichen Busen gedrückt hatte. Sie spricht nie über ihr Gewicht, aber ich wette, es liegt irgendwo zwischen neunzig und hundert Kilo.
    »Prima«, sagte ich und bekam einen schmerzhaften Hieb auf die Finger, weil ich versuchte, eine der knallheißen Nudeln aus dem Topf zu angeln.
    »Und warum spricht sie seit einer Stunde mit dem Baum?«, fragte Oma und zeigte aus dem Fenster.
    »Lass sie doch«, sagte ich.
    Meine Großmutter seufzte. »Sie hat DD sehr geliebt. Dein Vater war ein tüchtiger Mann, Marius.«
    »Nur nicht beim Kirschenpflücken.«
    Bevor meine Großmutter antworten konnte, kam Mama herein. Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn und fragte: »Alles in Ordnung?«
    »Wir haben eine Neue gekriegt.«
    »Wo?«
    Ich blieb ruhig. Wie gesagt, meine Mutter ist ein bisschen langsam. »In der Schule«, antwortete ich freundlich.
    Während des Essens schwiegen wir. Gutes Essen könne man nur genießen, wenn man sich darauf konzentriert, soll DD gesagt haben. Wenn es einer hat wissen müssen, dann er. Bei einhundertfünfzig Kilo. Nackt. Quadratisch. Und ohne Schuhe.
    Hinterher gab es den üblichen Kaffee und meine Mutter fragte: »Wie ist die Neue?«
    Ich stellte das Geschirr zusammen und trug es zur Spüle. »Doof«, antwortete ich.
    »Aber sie geht doch zum Gymnasium«, sagte meine Mutter.
    »Sie ist trotzdem doof. Außerdem ist sie sitzen geblieben.«
    Meine Mutter dachte nach. »Wie heißt sie?«, fragte sie schließlich.
    »Linda.«
    »Schöner Name.« Sie stand auf, trat hinter mich und schlang mir die Arme um den Hals. »DD hat gesagt, ich soll auf dich aufpassen«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Du kommst jetzt in ein Alter, wo es Jungs wie du nicht leicht haben.«
    »Ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen«, flüsterte ich zurück, damit Oma nichts hörte. Wir mögen sie – aber sie ist viel zu neugierig.
    »Ich liebe dich«, flüsterte meine Mutter.
    »Ich dich auch, Mama.«
    Am Nachmittag verschwand sie in ihrem Arbeitszimmer und ich machte Schularbeiten. Danach telefonierte ich mit dem Papierwaren-Einkäufer einer großen Kaufhauskette. Der Mann heißt Jan Jansen. Er hatte bei meiner Mutter ein neues Weihnachts-Geschenkpapier in Auftrag gegeben, war aber nicht bereit, mehr zu zahlen als sonst. Erst als ich ihm drohte, das Geschäft platzen zu lassen, ging er auf meinen Vorschlag ein.
    »Du bist ein verdammt harter Bursche, Marius«, sagte Jansen zum Abschied. »Mit deiner Mutter war es leichter.Viel leichter, wenn du es genau wissen willst. Sei froh, dass ich überhaupt mit dir rede. Hoffentlich erfährt niemand was davon.«
    »An mir soll es nicht liegen«, sagte ich nur, wünschte ihm einen schönen Tag und legte auf. Der Jansen hatte Mama jahrelang ausgenutzt. Er hatte ihr nur ein Taschengeld gezahlt, und sie hatte geglaubt, es wäre ein gutes Honorar. Sie hat nun mal keinen Schimmer, was der Unterschied zwischen sechs und sechzig Euro ist.
    Ich lief hinüber in ihr Arbeitszimmer. »Alles klar mit dem Papier«, sagte ich. »Morgen schicken sie den Vertrag. Du unterschreibst ihn, dann überweisen sie uns den Vorschuss.«
    Meine Mutter schien mich nicht zu hören. Sie saß über ihren Zeichentisch gebeugt und zog scheinbar wahllos gelbe und schwarze Linien über das Papier. Dann verteilte sie einige wenige rote Punkte über das Gewirr. Was gerade noch ein einziges Durcheinander gewesen war, kam plötzlich zur Ruhe.
    »Sieht schön aus«, sagte ich.
    Sie lächelte nur.
    Auf Zehenspitzen verließ ich Mamas
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher