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Bis Sansibar Und Weiter

Titel: Bis Sansibar Und Weiter
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sie ihn an.
    Stratmann fuhr sich nervös durch die Haare. »Du hast abgeschrieben. Ich habe es genau gesehen«, sagte er. »Ich auch!«, rief Pia.
    »Ich auch!«, rief Maren, Pias beste Freundin.
    »Ich auch!«, rief Simon, der, soviel ich mich erinnern konnte, noch nie freiwillig den Mund aufgemacht hatte.
    Während Stratmann Lindas Heft in den Tiefen seines Pilotenkoffers verschwinden ließ, lächelte er zufrieden. »Siehst du, ich habe Zeugen«, sagte er. »Und jetzt konzentriert euch wieder auf die Arbeit. In einer Viertelstunde müsst ihr abgeben.«
    Linda schien von einer Sekunde zur anderen in sich zusammenzusinken. Sie ließ sich auf ihren Stuhl fallen, legte den Kopf auf die Arme und blieb in dieser Stellung, bis es zur Pause klingelte.
    Am Mittag regnete es noch immer, den Tippelweg hinunter ergoss sich ein breiter Bach. Er teilte sich genau vor unserem Gymnasium und floss zur einen Seite in Richtung Polizeipräsidium, zur anderen in Richtung Freibad weiter. Nach Schulschluss hüpfte ich in großen Sprüngen über die Straße. Trotzdem waren meine neuen Turnschuhe sofort durchnässt. Ich hockte mich neben den Eingang von Emmis Kiosk auf die Schaufensterkante und schüttete das Wasser aus. Bei Emmi gibt es so ziemlich alles zu kaufen, vom belegten Brötchen bis zum feuchten Klopapier. Und natürlich Hefte, Füller, Lineale und was man sonst noch zu Hause vergessen hat. Es gibt Lehrer, die sagen, sie würden die Schule wechseln, wenn Emmi nicht da wäre. Für uns Schüler gilt das natürlich auch.
    »Ihr seid doch alle feige Ratten«, hörte ich auf einmal eine Stimme, die verdächtig nach Linda klang. Ich schaute hoch. Sie war es tatsächlich. Die blonden Haare klebten ihr am Kopf, ihr Anorak war pitschnass, von Nase und Kinn tropfte es auf den Bürgersteig. Sie ähnelte einer mageren Katze, die man gerade aus dem Wasser gezogen hatte.
    »Wie kannst du so was ... «, begann ich.
    Doch sie unterbrach mich. Unterbrechen schien eine ihrer Spezialitäten zu sein. Neben Aufwärtshaken. »Feige Ratten«, wiederholte sie und spuckte aus.
    Ich zog die Schuhe wieder an und stand auf. »Hast du etwa nicht abgeschrieben?«, fragte ich. Feige Ratte genannt zu werden, war nicht nett, gar nicht nett. Dafürhätte sie von Lennart umgehend eins auf die Nase gekriegt.
    Sie schüttelte den Kopf. Wassertropfen flogen mir um die Ohren.
    »Aber wieso haben Pia, Maren und Simon dann gesagt, dass sie dich dabei beobachtet haben?«
    Linda spuckte ein zweites Mal aus. »Bist du blöd? Die können mich nicht leiden!«, antwortete sie. »In meiner alten Schule haben wir gegen die Lehrer zusammengehalten. Vor allem gegen solche Schweine wie Stratmann.« Sie schniefte. »Feige Ratten«, sagte sie zum dritten Mal und wandte sich zum Gehen.
    »Warte!«, rief ich. »Ich komme mit!« Keine Ahnung, warum ich das tat, ehrlich nicht. Es kam einfach so. Vielleicht wollte ich nur die »feige Ratte« nicht auf mir sitzen lassen. Dafür ließ ich auch meinen Bus fahren.
    Durch den immer schwächer werdenden Regen liefen wir am Rathaus vorbei, am Stadtpark, am Kunstmuseum, durch die Fußgängerzone. Wir überquerten den Marktplatz und liefen durch den Hauptbahnhof, wo sich die frierenden Junkies unter das geschwungene Dach des Eingangsportals geflüchtet hatten.
    In einer Seitenstraße jenseits des Kanals blieb Linda stehen. »Hier wohne ich«, sagte sie und zeigte auf ein kleines Einfamilienhaus. Der schmutzig weiße Putz blätterte ab, an den Fenstern hingen keine Gardinen, der Rasen vor dem Eingang war lange nicht gemäht worden, eine krumme Linde wuchs übers Dach.
    »Ja... dann...«, sagte ich. Wenn ich mich beeilte, kam ich noch pünktlich zum Mittagessen.
    Linda schob das verrostete Gartentor auf. »Willst du bei mir essen?«, fragte sie.
    »Ich? Bei dir?«, stotterte ich. Ich war bis auf die Haut durchnässt, in meinen Schuhen plätscherten kleine Seen. »Also... wenn deine Mutter nichts dagegen... ich meine... ich bin total nass...«
    »Komm schon«, sagte Linda ungeduldig, holte einen Schlüsselbund aus der Anoraktasche und schloss die Haustür auf. »LEBERT & LEBERT« stand auf einem Messingschild neben der Klingel.
    Wir betraten einen langen dunklen Flur. Außer dem Tropfen eines Wasserhahns war kein Laut zu hören. Linda verschwand in einer der Türen, die von der Diele abgingen, und kam nach einer Weile mit einem Pullover und einer Jeans zurück. »Du kannst die Sachen oben im Bad anziehen«, sagte sie. »Da gibt’s auch ’ne
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