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Bis Sansibar Und Weiter

Titel: Bis Sansibar Und Weiter
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zurück und wie immer fing er mit der besten Arbeit an. »Marius«, sagte er nur. Sonst nichts. Keine Anerkennung, kein Kommentar. Einfach null. Es folgte Paul. Mein Banknachbar schien mal wieder perfekt von mir abgeschrieben zu haben und kriegte dafür von Stratmann ein besonders dickes Lob. Und so ging es weiter, bis unser Mathelehrer nur noch ein einziges Heft in der Hand hielt.
    »Und hier haben wir nun die Arbeit von Linda«, sagte er langsam.
    Die spielte mit ihrem Federmäppchen. Ich fand, dass sie im Profil besser aussah als von vorn. Viel besser. Eigentlich sogar... sogar... ja, richtig sexy.
    »Ich musste sie mit ›Ungenügend‹ bewerten«, fuhr Stratmann fort, und aus seiner Stimme tropfte das Öl. »Erstens weil du abgeschrieben hast. Darüber haben wirja schon gesprochen. Und zweitens weil nicht eine der drei Aufgaben, die du gerechnet hast, auch nur im Ansatz richtig ist.«
    Er legte das Heft vor Linda auf den Tisch. »Deine Leistungen in Mathematik sind bodenlos«, sagte er. »Dabei wiederholst du das Jahr. Was ist bloß mit dir los?«
    Wer sich von uns auf das nächste Duell zwischen Linda und Stratmann gefreut hatte, sah sich jetzt getäuscht. »Danke, Herr Stratmann«, sagte sie leise. Und nach einer kurzen Pause: »Mir ist schlecht. Darf ich nach Hause?«
    »Wenn du dich krank fühlst – bitte.« Stratmann zeigte zur Tür. »Aber du bringst morgen eine Entschuldigung mit, ja?«
    Linda schlich hinaus, wir anderen schauten ihr nach. Mit einer ungeschickten Bewegung öffnete sie die Tür und schloss sie leise hinter sich. Dabei warf sie mir einen kurzen Blick zu. Aber vielleicht bildete ich mir das auch bloß ein.
    Und wir? Wir machten mit dem Unterricht weiter, als wäre nichts passiert. Linda hatte Recht gehabt; wir waren wirklich ein jämmerlicher Haufen feiger Ratten.
    »Was ist nun mit den Klamotten?«, fragte Paul, als die Mathestunde zu Ende war. Wie hatte ich bloß glauben können, er hätte die Geschichte vergessen?!
    »Wenn du es unbedingt wissen willst«, sagte ich. »Ich hab Linda gestern im Schwimmbad getroffen. Zufällig, kapiert? Irgendein Blödmann hatte ihr die Klamotten geklaut. Da hab ich ihr meine gegeben.«
    »Und du bist in der Unterhose nach Hause gelaufen? Du trägst Schiesser, stimmt’s? Sag mal, willst du mich verar...«
    »Langsam, langsam.« Jetzt grinste ich. »Dann hat Linda von sich zu Hause Sachen geholt und sie mir gegeben. Heute Morgen haben wir die Klamotten wieder getauscht. So einfach war das.«
    Paul schaute mich mit gerunzelter Stirn an. Er glaubte mir nicht, das war ihm deutlich anzusehen. Ich hätte es an seiner Stelle auch nicht getan.
     
    Nach der Schule ließ ich mir Zeit. Ich holte mir bei Emmi ein Wassereis und ging auf dem Weg nach Hause seit langem mal wieder bei dem verrückten Kapitän vorbei. Der Mann lief von morgens bis abends in Uniform herum und in seinem Garten stand ein verrottetes Segelschiff. Das Boot war auf Holzständern aufgebockt, besaß als Galionsfigur einen dicken blauen Engel und hieß »Annemarie«.
    Im Winter wie im Sommer saß der Kapitän an Deck seines kleinen Schiffs und las. Zeitungen, Zeitschriften, Bücher – er schien nie genug davon zu bekommen. Regnete es, spannte er einen großen gelben Sonnenschirm auf; war es heiß, tauschte er seine Kapitänsmütze gegen einen breitkrempigen Strohhut. Ob er allein in dem Haus wohnte, wussten wir nicht. Lennart, Paul und ich hatten ein paar Mal versucht, mit ihm zu reden. Aber er hatte auf keinen unserer Rufe reagiert. Sogar als Lennart einmal einen Schneeball gegen das Schiff geworfenhatte, war nichts passiert. Der Mann hatte einfach weitergelesen.
    Als ich das Haus des Kapitäns erreichte, lag er auf seinem Boot und schlief. Wenigstens dachte ich das. Denn kaum blieb ich stehen, richtete er sich auf. »Komm her!«, rief er. Seine Stimme klang grollend.
    »Ich?«, fragte ich verwundert.
    »Siehst du sonst noch jemanden?«, rief er. Aha, taub war der Mann also nicht.
    Ich öffnete das quietschende Gartentor und ging zum Schiff hinüber. Der Rasen stand mindestens einen halben Meter hoch. Brennnesseln waren zu sehen, Dahlien und Efeu. Alle paar Schritte stieß ich gegen ein Stück Holz, eine gusseiserne Achse und andere geheimnisvolle Dinge, die sich im Gras versteckten.
    »Komm rauf!«, hörte ich den Kapitän rufen.
    Ich ging um das Schiff herum. An der Seite, die man von der Straße aus nicht sehen konnte, lehnte eine Leiter. Vorsichtig stieg ich hinauf, die Sprossen knackten
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