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Bis Sansibar Und Weiter

Titel: Bis Sansibar Und Weiter
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von aufgeregt, dass die Buchstaben vor meinen Augen tanzten. Erst als ich ruhiger atmete, konnte ich anfangen zu lesen.
    »Lieber Marius!«, stand da in krakeliger Schrift. »Ich hoffe, du hast nicht geglaubt, ich hätte dich vergessen. Hab ich nämlich nicht, im Gegenteil. Aber in den letzten Wochen ist so viel passiert, dass ich erst heute dazu komme, dir zu schreiben.
    Nachdem wir hergeflogen sind, haben wir als Erstes ein Haus gesucht. Das ist hier ziemlich leicht, die Leute ziehen ständig um. Wir wohnen jetzt in einem kleinen Häuschen gar nicht weit von der Segelschule, in der mein Daddy arbeitet. Ich habe ein großes Zimmer unterm Dach, das Klavier steht unten in der Diele. Leider können wir von unserer Terrasse nicht aufs Meer gucken. Aber auf meinem Weg zur Schule fahre ich jeden Morgen ein Stück am Wasser vorbei.
    Die Schule ist schrecklich – aber irgendwie auch toll. Schrecklich, weil wir jeden Tag Tests schreiben. Das ist echt stressig, man kommt gar nicht mehr zum Luftholen. Und toll, weil man hier ganz schnell Freunde findet. (Versteh das bitte nicht falsch: Ich meine keinen Freund, mit dem man geht und so. Ich meine Freunde und Freundinnen!) Es hat nicht mal zwei Tage gedauert und ich hatte die ersten Einladungen. Mit der Sprache habe ich keine Probleme. Schließlich bin ich schon in Australien und Neuseeland zur Schule gegangen.
    Aber jetzt die wichtigste Nachricht: Meine Mutter hat uns besucht! Ist das nicht irre? Seit zwei Jahren lebt sie auf Sansibar und kümmert sich dort um Touristen aus Europa. Das Segeln hat sie übrigens aufgegeben. Damit sei es ein für alle Mal vorbei, sagte sie, als ich sie danach fragte. Das habe zu einer anderen Zeit gehört. Obwohl sie fast so aussah wie früher, hat sie sich verändert. Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll: Stark ist sie geworden. So stark, dass sie uns nicht braucht. Wenigstens denke ich mir das. Ich kann ja nicht in sie reingucken.
    Natürlich war ich gespannt, wie mein Vater und sie miteinander klarkommen. Wenn ich ehrlich bin, habe ich sogar darauf gewartet, dass sie knutschen oder morgens aus seinem Schlafzimmer zum Frühstück kommen. Aber sie ist jeden Abend zurück in ihr Hotel gefahren. Die beiden sind sehr freundlich zueinander gewesen, sie haben sich nicht ein einziges Mal gestritten. Doch selbst wenn sie nebeneinander auf dem Sofa gesessen haben, ist eine Seemeile Platz zwischen ihnen gewesen. Mindestens. Und Temperaturen haben um sie herum geherrscht wie am Südpol. Ich bin sicher, dass meine Mutter einen anderen hat. Gesprochen hat sie nicht darüber. Aber so was spürt man.
    Gestern ist meine Mutter wieder nach Sansibar geflogen. Ich habe sie ohne meinen Vater zum Flughafen begleitet, er hatte angeblich einen wichtigen Termin. Aber das glaube ich ihm nicht. Er war enttäuscht – und das verstehe ich sogar. Meine Mutter und ich haben uns kräftig gedrückt und für einen Moment habe ich mich so gefühlt wie früher. Das war schön. Und traurig. Dann hat sie mich fürs nächste Jahr nach Sansibar eingeladen. Ich kann die ganzen Sommerferien bleiben und wir werden viel unternehmen. Darauf freue ich mich jetzt schon. Bevor sie ins Flugzeug stieg, hat sie mir ein afrikanisches Amulett aus Lapislazuli geschenkt. Es soll mir Glück bringen. Ich bin gespannt.
    Bis auf die Enttäuschung mit meiner Mutter geht es meinem Vater eigentlich ganz gut. Auf jeden Fall viel besser als in Deutschland. In seiner Segelschule hat erzum Glück eine Menge zu tun, er bereitet gerade ein Programm für teure Karibiktörns vor. Die Schiffe, die er zur Verfügung hat, sind der Wahnsinn. Dagegen ist deine Annemarie eine Nussschale. Entschuldige, Marius, sie ist natürlich ein tolles Schiff und ich würde sie jedem anderen vorziehen. Aber du müsstest mal herkommen und dir die Jachten anschauen. Die sind bis zur Mastspitze mit Elektronik voll gestopft. Die fahren fast von allein.
    Jetzt habe ich die ganze Zeit von mir erzählt. Dabei wüsste ich gern, wie es dir geht. Gibt’s was Neues in der Schule? Was macht der Kapitän? Was ist mit der Annemarie? Bist du noch mal gesegelt? Geht’s deiner Mutter gut? Schreib bitte ganz schnell. Du kannst mir auch deine Handynummer geben, dann schicken wir uns SMS. Da fällt mir ein: Hast du überhaupt ein Handy? Ich habe mir hier eins gekauft. Ohne so ein Ding bist du in Amerika aufgeschmissen.
    Morgen ist Sonntag. Mein Vater und ich werden früh aufstehen und mit einer von diesen Luxusjachten einen langen Segeltörn
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