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Bis Sansibar Und Weiter

Titel: Bis Sansibar Und Weiter
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was?«
    »Eine Landratte, die mal mitsegeln darf«, erklärte der Kapitän. Ich beschloss, nicht beleidigt zu sein. Segeln machte Spaß, nur darauf kam es an.
    Für den Rückweg in den Hafen brauchten wir länger. Jetzt hatten wir Gegenwind und mussten kreuzen. Nach zwei Stunden Fahrt schob sich die Annemarie langsam an ihren Liegeplatz. Ich sprang an Land und vertäute das Schiff mithilfe des Seemannsknotens, den ich gerade gelernt hatte. Es dauerte ein bisschen, bis ich die Leinen um die Poller gelegt hatte, aber schließlich hatte ich es geschafft.
    »Heiliger Klabautermann«, sagte der Kapitän zu Linda. »Du segelst ja wie ’n Alter. Wo hast du das gelernt, Deern?«
    »Auf dem M... «, begann Linda.
    »Auf dem Mittelmeer?«, fragte der Kapitän.
    »Jaja«, antwortete Linda und drehte an ihrem Pferdeschwanz.
    Der Kapitän verzog das Gesicht, wahrscheinlich hatte er wieder Schmerzen. »Ich fahre nach Hause«, sagte er und kletterte zur Kaimauer hinauf. »Soll ich euch mitnehmen?«
    »Nein«, antwortete ich.
    »Nein«, antwortete Linda und lächelte mich an.
    Der Kapitän zögerte. »Ihr wollt doch nicht allein raussegeln?«, fragte er misstrauisch.
    »Nein«, sagte ich.
    Linda schwieg.
    »Hast du eigentlich einen Segelschein?«, fragte er sie.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Dann bleibt mal schön an Land«, sagte er. »Kapiert?«
    Natürlich dachten wir gar nicht daran, ihm zu gehorchen. Wir warteten, bis er mit seinem Dodge verschwunden war, dann machte ich die Leinen wieder los und sprang zurück aufs Schiff. Der kühle Wind blies nach wie vor gleichmäßig aus Ost, die Sonne schien, das Boot mit dem Spinnacker am Bug sauste mit Höchstgeschwindigkeit zur Einfahrt des Binsensees. Je länger wir unterwegs waren, desto besser funktionierte das Zusammenspiel zwischen Linda, die am Ruder stand, und mir. Nach Sansibar schafften wir es bestimmt nicht, aber bis in die Nordsee würden wir kommen. Darauf hielt ich jede Wette.
    Irgendwann legten wir an einer mit hohen Pappeln bewachsenen Insel in der Mitte des Sees an. Wir vertäuten das Boot an einem Holzsteg und gingen an Land. Auf einer Lichtung entdeckten wir einen Grillplatz mit Tischen, Bänken und einer Hütte. Dort setzten wir uns auf eine Holzbank. Linda zog einen Schokoriegel aus der Tasche, brach ihn in der Mitte durch und gab mir eine Hälfte. Die andere steckte sie sich in den Mund und schloss genießerisch die Augen.
    Mann, sie war so schön, ich musste sie einfach küssen. Diesmal dachte ich nicht darüber nach, ob es der richtige Augenblick war. Diesmal kam nicht meine Mutter ins Zimmer oder ihr Vater nach Hause. Diesmal waren wir ungestört. Also presste ich meine Lippen auf ihre, presste und presste – und traute mich nicht weiter. Es fühlte sichzwar gut an, aber eigentlich hatte ich mir unter Küssen doch was anderes vorgestellt, was viel Besseres.
    Linda lachte, während ich mich abmühte, hielt die Augen aber immer noch geschlossen. »Aua«, sagte sie. »Du tust mir weh.« Dann öffnete sie den Mund und spielte mit ihrer Zunge an meinen Lippen, bis ich es ihr nachmachte.
    »Du schmeckst nach Schokolade«, sagte sie irgendwann und atmete tief durch.
    »Du auch.«
    Ich wollte weitermachen, wollte sie streicheln, überall; doch sie schob mich weg. Plötzlich sah sie traurig aus. »Was ist los?«, fragte ich. »Hab ich dir wehgetan?« Sie schwieg.
    »Sag schon!«
    Sie gab mir einen flüchtigen Kuss auf den Mund, stand auf und setzte sich auf die Bank mir gegenüber.
    »Ist es wegen Lennart?«, fragte ich. »Hast du doch was mit ihm?«
    »Nein.«
    »Was ist es dann?«
    »Wir ziehen weg«, antwortete sie.
    »Was?«, rief ich.
    »Wir ziehen weg«, wiederholte sie.
    »Aber...«, stammelte ich. »Du und ich... Ich meine... Wir haben doch gerade erst...«
    »Tut mir Leid, Marius«, unterbrach sie mich. »Ehrlich.«
    Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Linda war meineFreundin, ich liebte sie. Bis zu diesem Tag hatte ich das Wort zu niemandem außer meiner Mutter gesagt. Aber ich liebte Linda. Wirklich.
    »Du darfst nicht wegziehen!«, rief ich. »Hörst du? Du musst hier bleiben! Bitte!«
    Doch sie schaute mich nur an und zuckte hilflos mit den Schultern.
    In diesem Moment brach etwas in mir zusammen. »Wann?«, fragte ich mit tonloser Stimme.
    »Morgen.«
    Morgen? Und was war mit der Schule? Und ihrem Haus? Hatten sie und ihr Vater denn schon gepackt? Wieso hatte ich von alledem nichts mitgekriegt? »Wohin?«, brachte ich mit Mühe heraus.
    »Miami«,
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