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Bis Sansibar Und Weiter

Titel: Bis Sansibar Und Weiter
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sie durch das beschlagene Fenster der Kajüte. »Es klart auf«, sagte sie. Obwohl sie genauso nass war wie ich, schien sie nicht zu frieren.
    »Und warum schaukelt es immer noch?«, wollte ich wissen.
    »Es wird gleich besser«, beruhigte sie mich.
    Sie hatte Recht. Eine Viertelstunde später hatten sichdie Wolken verzogen und der See lag fast so da wie vorher. Nur eine starke Dünung erinnerte noch an den Sturm. Allerdings hatte die Strömung unser führerloses Schiff bis zum Ende des Binsensees getrieben. Wir setzten Groß- und Focksegel und kreuzten zurück. Auf der Fahrt sprachen wir kein Wort. Das wäre auch kaum möglich gewesen. Wir hatten alle Hände voll zu tun, die Annemarie auf Kurs zu halten. Mit dem Kapitän wäre das überhaupt kein Problem gewesen. Aber ich war ein blutiger Anfänger.
    »Junge, Junge«, sagte ich, nachdem wir die Annemarie vertäut hatten.
    »Alles halb so wild«, sagte Linda und hob ihr Rad auf.
    In diesem Moment kam ein Mann mit dichtem grauen Bart aus der Hafenmeisterei auf uns zugelaufen. »Au Backe«, flüsterte Linda. »Der Hafenmeister. Jetzt wird’s ernst!«
    »Wartet!«, rief der Mann. »Hier geblieben!«
    »Was fällt euch beiden eigentlich ein, einfach das Schiff vom Kapitän zu nehmen?«, fragte er, als er schwer atmend vor uns stand.
    »Es gehört mir«, antwortete ich. »Ich hab ihm die Annemarie abgekauft.«
    »Davon hat er mir nichts gesagt«, murmelte der Hafenmeister, kratzte sich hinterm Ohr und fragte: »Darf ich mal eure Segelscheine sehen?«
    »Vergessen«, sagte Linda.
    »Ich auch«, sagte ich.
    Über das Gesicht des Mannes zog die Spur einesLächelns, bevor er wieder ernst wurde. »Hört mir zu: Wenn ihr das nächste Mal herkommt, bringt ihr einen Segelschein mit. Kapiert? Sonst lass ich euch nicht raus. Segeln ist kein Kinderspiel, verdammt. Bei dem Sturm hätte euch wer weiß was passieren können!« Dann wandte er sich an mich. »Sieh zu, dass du das Schiff winterfest kriegst. Eine Abdeckung kannst du von mir haben. Sieht nicht schön aus, aber ist in Schuss.«
    »Alles klar«, sagte ich.
    Stumm verließen wir das Hafengelände, stumm durchquerten wir die Stadt, stumm kamen wir bei Linda an. Als ich sie zum Abschied umarmen wollte, schob sie mich weg. Wir hatten uns geküsst und jetzt schob sie mich weg. Ich verstand das nicht.
    »Tschüss, Marius«, sagte sie. »Mach’s gut.«
    »Ich könnte euch beim Packen helfen.«
    »Nein.«
    »Schreibst du mir?«, fragte ich.
    Sie nickte.
    »Bald?«
    »Ja.« Damit ging Linda ins Haus. Sie drehte sich nicht mehr um.

Siebzehntes Kapitel
    E in Monat verging. Ein Monat, in dem ich an kaum etwas anderes denken konnte als an Linda. Ein Monat, in dem meine Mutter die Geschenkpapierserie fertig stellte und Oma ihren geliebten Ferrari zu Schrott fuhr. Ein Monat, in dem ich die Annemarie winterfest machte. Ein Monat, in dem ich meine erste Zwei in Mathe schrieb und meine erste Fünf in Englisch. Vor allem aber ein Monat, in dem ich auf ein Lebenszeichen von Linda wartete.
    Der Kapitän war zwei Tage nach unserer Sturmfahrt ins Krankenhaus gebracht worden. Meine Mutter besuchte ihn jeden Tag, versorgte ihn mit Büchern, die sie in der Stadtbibliothek auslieh, und sah ihm stundenlang beim Lesen zu. Ein paar Mal begleitete ich sie. Der alte Seemann war noch dünner geworden, seine Haut fast durchsichtig. Nur seine Augen, die leuchteten.
    Gerade gestern noch haben wir ihn auf seiner Station besucht. Als meine Mutter zum Klo musste, hat er meinen Kopf ganz nah zu sich herangezogen. »Bringst dumir was mit, Kleiner?«, flüsterte er. »Du weißt schon was!«
    »Schnaps?«, flüsterte ich zurück.
    Er nickte. »Die Schwestern hier haben keine Ahnung, was ’n alter Seebär braucht.«
    Ich musste grinsen. Wenigstens im Reden war er ganz der Alte. »Cognac oder Whiskey?«, fragte ich.
    »Egal«, antwortete er. »Hauptsache Prozente.«
    In diesem Moment war meine Mutter vom Klo zurückgekommen und der Kapitän und ich hatten unser interessantes Gespräch abbrechen müssen.
    Heute Morgen nun klingelte der Briefträger. Er gab mir ein Päckchen für Mama und einen Brief mit meinem Namen drauf. »USA«, sagte er und tippte auf die Briefmarke. Der Mann sammelt Nord- und Südamerika, das hat er mir mal erzählt. »Wenn du die Marke nicht willst, kannst du sie mir geben.«
    Normalerweise rede ich gern mit ihm. Doch an diesem Tag ließ ich ihn einfach stehen. Hastig legte ich das Päckchen auf die Treppe und riss den Brief auf. Ich war so was
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