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Bis Sansibar Und Weiter

Titel: Bis Sansibar Und Weiter
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antwortete sie.
    Ich schluckte. »Meinst du Miami in Florida?« Sie nickte.
    Hätte sie Hamburg gesagt, Kiel oder meinetwegen Amsterdam – das wäre zwar auch schlimm gewesen. Doch nicht so weit, dass wir uns nicht hätten wiedersehen können. Aber Miami? Das war jenseits des Atlantiks, damit war unsere Geschichte zu Ende, bevor sie überhaupt richtig angefangen hatte.
    »Warum?«, fragte ich.
    »Mein Vater hat da eine neue Arbeit gefunden«, antwortete sie. »Er wird eine Segelschule leiten.«
    »Und was sagt deine Mutter dazu?«, rutschte es mir heraus.
    Linda sah mich schweigend an. Ihre Lippen warenschmaler als sonst, zwischen ihren Augen stand eine tiefe Falte. »Also gut«, sagte sie und fing an zu erzählen.
     
    Ihre Eltern waren leidenschaftliche Segler. Irgendwann hatten sie sich ein hochseetüchtiges Segelboot gekauft – es hieß King Arthur und war 17 Meter lang – und kreuzten damit jahrelang über die Weltmeere. Linda wäre sogar fast auf dem Meer geboren worden. Ihre Mutter schaffte es in Tasmanien gerade noch ins Krankenhaus. Auch nach der Geburt änderte sich an diesem Leben nichts. Mit sechs umsegelte Linda Kap Hoorn.
    Später gab ihr ihre Mutter auf dem Schiff Unterricht und manchmal ging Linda in Australien, Neuseeland oder Argentinien für ein paar Monate auf eine deutsche Schule. Hatte sie endlich Freunde gefunden, segelten ihre Eltern weiter. Geld für ihre Reisen verdienten sie mit Vorträgen und Filmen, die sie unterwegs drehten.
    Dann fing ihre Mutter plötzlich an, mit Lindas Vater zu streiten. Mit jedem Tag wurde es schlimmer. Trotzdem wehrte sich ihr Vater nicht. Sie brüllte ihn an und er schwieg.
    Eines Tages verschwand Lindas Mutter. Sie hatten von Argentinien aus den Atlantik überquert und waren in einer Pension auf Ibiza abgestiegen, um sich von der stürmischen Überfahrt zu erholen und das Schiff zu reparieren. Lindas Mutter nahm nur eine Tasche mit Wäsche und Schminkzeug mit. Lindas Vater suchte sie überall, schaltete schließlich sogar Privatdetektive ein, aber es war umsonst. Ein halbes Jahr später verkaufte er dieKing Arthur und wurde Spieleentwickler für verschiedene Softwarefirmen. Aber er kam nicht zur Ruhe. Seit sie nicht mehr segelten, waren Linda und ihr Vater nicht weniger als neun Mal umgezogen.
    »Er ist ein Nomade«, sagte Linda. »Er ist unglücklich, wenn er sich nicht bewegt.«
    »Und unfreundlich.«
    »Das auch, Marius.«
     
    Eine Woche, nachdem sie in Marius’ Klasse gekommen war, hatte Linda eine Postkarte aus Sansibar erhalten. Ihre Mutter schrieb, dass es ihr gut gehe, dass sie Linda vermisse und dass sie hoffe, sie bald wiederzusehen. Mehr stand nicht auf der Karte. Keine Anschrift, keine Telefonnummer. Am liebsten wäre Linda gleich am nächsten Tag ins Flugzeug gestiegen und nach Sansibar geflogen. Aber ihr Vater wollte das nicht. Und sie wollte ihn nicht allein lassen.
    »Jetzt wird’s ihm bestimmt besser gehen«, sagte ich. »Jetzt kann er wieder segeln.«
    Linda zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht«, murmelte sie. »Er hat sich sehr verändert.«
    »Und deine Mutter?«, fragte ich, setzte mich zu ihr auf die Bank und legte den Arm um sie.
    »Wenn sie es wirklich will, findet sie uns in Miami«, antwortete Linda.
    »Und wenn nicht?«
    Linda stand auf. »Wir müssen los«, sagte sie und zeigte zum Himmel. Der hatte sich zugezogen, ein dicker Regentropfenklatschte auf den roh gezimmerten Tisch vor uns. Ohne darüber nachzudenken, dass es vielleicht besser gewesen wäre, den Regenschauer in der Grillhütte abzuwarten, sprangen wir auf und rannten, so schnell wir konnten, zur Annemarie zurück.
    Wir hatten bereits die Mitte des Binsensees erreicht, da erwischten uns Regen und Sturmböen mit einer solchen Wucht, dass an Segeln kaum noch zu denken war. Wir refften das Großsegel, machten die Fläche, die der Sturm packen konnte, immer kleiner, doch es half nichts. Das Schiff tanzte auf den Wellen, wurde hin und her geschleudert, bis Linda schließlich aufgab und mit mir zusammen das Segel einholte. Frierend und bis auf die Haut durchnässt, hockten wir uns in die Kajüte und warteten darauf, dass das Unwetter vorüberging.
    Schon nach wenigen Minuten war mir schlecht, mein Magen hüpfte bei jeder Schlingerbewegung des Schiffs unter meine Zunge. Wenn das verdammte Schaukeln nicht bald aufhörte, würde ich kotzen müssen. Und das wollte ich nicht. Schon gar nicht, nachdem ich Linda geküsst hatte.
    Während ich mit meinem Magen kämpfte, schaute
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