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VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)

VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)

Titel: VILM 02. Die Eingeborenen (German Edition)
Autoren: Karsten Kruschel
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1. Der glückliche Lotse
    Eine Runde von Kapitänen saß beisammen, an einem geräumigen Sechsertisch, von dessen Sitzplätzen einer sorgsam freigehalten wurde. Das wäre nicht nötig gewesen: Es wäre niemand auf den Gedanken gekommen, sich zu ihnen zu setzen. Touristen verirrten sich nicht in die »Laterne«, und wer sich hier auskannte, wusste, dass dieser Tisch traditionell Besitz der Kapitäne war. Wenn der Raumhafen voll war und die Kasse der »Laterne« richtig klingelte, mussten einige Stühle herangestellt werden. Zu anderen Zeiten kam es vor, dass ein oder zwei Raumschiffkommandanten einsam an dem Tisch hockten.
    Die »Laterne« war eine Lokalität auf Atibon Legba, die unter Raumfahrervolk weniger wegen der Kapitänsrunde bekannt war als wegen ihres ausgefallenen Raumschmucks – nicht nur Schmuck, sondern auch makabre Warnung und Beispiel. In einem polierten Glaskasten, direkt dem Eingang gegenüber, wurde ein Laternenflamingo gezeigt, der von Steinstrahlung getroffen worden war, wie sie den Legenden nach hin und wieder bei den Grauen Sonnen vorkommen soll. Er hatte sich unter dem Einfluss des mysteriösen Strahls langsam in geäderten Stein verwandelt. Natürlich sah er gut aus, der elegante Ziervogel, noch im steinernen Tod anmutig. Und doch wirkte der eigenartige Raumschmuck wie eine Warntafel: dass es unnatürlich wäre, seine Grenzen zu überschreiten, Leben ins All zu tragen, dass man dafür bezahlen müsse. Diese Wirkung – wenn sie denn beabsichtigt war – verlor sich freilich rasch. Ständige Mahnung wird lächerlich, das Grausige anheimelnd durch Gewöhnung. Außerdem war jene Strahlung außerordentlich selten, und es gab eine Reihe von Wissenschaftlern und Medizinern, die ihre Existenz entschieden bestritten.
    Die fünf, die heute am Kapitänstisch saßen, kannten sich lange; dementsprechend laut und lebhaft ging es her. In der »Laterne« wird eine Menge des seltsamsten Zeugs getrunken, und an diesem Tisch wird von Raumgegenden gesprochen, die keine sorgfältig geräumten und kartographierten Trassen haben und in denen das Fliegen mehr ist als eine Rechenaufgabe mit mehr oder weniger vorhersehbaren Unbekannten, die sich zufällig im Weltraum abspielt.
    »Und jedes Mal«, röhrte Gaston Vliesenbrink mit seiner übermäßig lauten Stimme, »wenn man dort vorbeikommt, hat sich die Form dieser verflixten Wolke verändert. Sie teilt sich, stülpt Füße aus, zieht sich zusammen – als wäre sie lebendig!«
    »Du bist dir sicher, dass du von der Nebula sciuri sprichst?«, erkundigte sich Punt, der unscheinbar und rundlich war und zweifelnd seine Glatze krauste, ehe er wieder an seinem schwarzen Bier nippte. Statt einer Antwort wies Vliesenbrink, der riesige Mann, der von Karna stammte, mit Heimat jedoch nicht viel im Sinn hatte, auf sein Gegenüber, den alten Schlunke, der nur nickte.
    »Aber woher diese Bewegungen?«, fragte Punt verständnislos. »Das gibt‘s doch nicht – lebende Wolken im Kosmos!«
    Alle sahen auf Tullama, der mal Physik studiert hatte und unter Kapitänen als weiser Uhu galt. Tullama zog es vor, vage mit dem Kopf zu wackeln und Äthyltee zu trinken. Dafür fing der Jüngste von ihnen, Claras, von dem niemand wusste, ob er Mann oder Frau war, mit wilden Spekulationen an, die sie grinsen ließen: in der Wolke verborgene Doppelsterne, verdeckte Novaausbrüche eines hypothetischen Sterns, Bombenexplosionen einer unbekannten Rasse, das vergessene Schwesterwesen des epsilonischen Raumschiffs, Löcher ins benachbarte Kontinuum, pulsierende Schwarze Löcher ...
    »Wirklich toll, Claras«, donnerte Gaston Vliesenbrink, dass Tullama zusammenzuckte und Claras sein Geschwätz einstellte.
    »Wie fliegst du denn nun, wenn du an dieser Wolke entlang willst?«, erkundigte sich Punt.
    Vliesenbrink dämpfte seine Lautstärke. »Du hast zwei Möglichkeiten. Entweder du gehst auf Nummer sicher, machst den großen Umweg und verlierst zwei Wochen nebst einer gehörigen Menge Geld ... oder ... oder du hast einen wirklich guten Lotsen.«
    »Du meinst Christoff Masurat?«
    »Natürlich. Einmal ist er sogar mittendurch geflogen.«
    »Also weiß der, was dort los ist?«, warf Claras mit überkippender Stimme dazwischen.
    »Natürlich nicht. Er weiß lediglich, wie man heil vorbeikommt.«
    »Woher, frage ich mich«, sagte der alte Schlunke nachdenklich.
    »Er weiß es nicht in diesem Sinn. Wissen ist der falsche Ausdruck.« Vliesenbrink suchte nach Worten. »Er hat eine Art zusätzlichen Sinn für
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