Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Kevin Brooks
Vom Netzwerk:
mein Instinkt und der Wunsch, die Peinlichkeit eines Sturzes zu vermeiden, ließen mich irgendwie weitergehen – einen Schritt, noch einen Schritt … geh einfach weiter –, und nachdem es mir gelungen war, die Lobby halb zu durchqueren, hatte ich das Laufen schon fast wieder raus und sah wahrscheinlich nicht mehr ganz so sehr wie ein Zombie aus. Ich war versucht, einen Blick über die Schulter zu wagen und Arthur ein beiläufiges Lächeln zuzuwerfen, nur um ihm zu signalisieren, wie normal ich war, doch schon der Gedanke, zu gehen und gleichzeitig über die Schulter zu schauen, erzeugte in mir ein Schwindelgefühl. Deshalb lief ich einfach weiter – einen Schritt, noch einen Schritt … einen Schritt, noch einen Schritt …
    Du schaffst das.
    Zum Glück lag mein Zimmer genau wie die Lobby im Hochparterre, sodass ich mir keine Sorgen wegen der Treppe machen musste, sondern bloß in gerader Linie weiterzulaufen brauchte – quer durch die Lobby und am Ende durch eine Tür, an der Treppe vorbei, den Flur entlang … einen Schritt, noch einen Schritt …
    Ich schaffte das.
    Einfach weitergehen …
    Als ich das Ende der Lobby erreichte und gegen die Tür drückte, zog sie jemand von der anderen Seite auf, ich taumelte hindurch und stieß gegen einen Mann in rotem Regencape.
    »’tschuldigung«, murmelte ich mit gesenktem Kopf und trat schwankend zur Seite.
    »Kein Problem«, sagte der Mann. Und dann: »Hey, alles in Ordnung mit Ihnen?«
    Ich spürte seine Hand auf meinem Arm, eine helfende Hand, und sah zu ihm hoch. Er war bärtig, trug eine Brille und hatte ein freundliches Gesicht.
    »Alles okay, Buddy?«, fragte er.
    Ein Amerikaner.
    »Ja …«, murmelte ich. »Ja, danke … ich hab nur … ja, alles okay.«
    Er ließ meinen Arm wieder los, machte einen Schritt zurück und schaute ernsthaft besorgt. Eine Frau stand neben ihm, ebenfalls in rotem Regencape. Und hinter den beiden, mich neugierig vom Treppenabsatz aus beobachtend, stand ein Kaugummi kauender Teenager. Mutter und Tochter, nahm ich an.
    »Brauchen Sie Hilfe?«, fragte der Mann.
    »Nein … danke.« Ich lächelte ihn an. »Ist nur … ist nur Migräne …«
    »Oje«, sagte er und nickte verständnisvoll. »Migräne kann wirklich sehr schlimm sein.« Er warf einen Blick auf die Frau neben ihm. »Deine Schwester hat doch auch Migräne, stimmt’s, Honey?«
    Die Frau nickte und sah mich an. »Sie muss dann immer in einem abgedunkelten Raum liegen.«
    »Ja, ich auch …«
    »Okay«, sagte der Mann. »Also, wir wollen Sie nicht weiter aufhalten … passen Sie auf sich auf, ja?«
    Ich nickte. »Danke …«
    »Bis später dann.«
    »Ja.«
    Als sie durch die Tür in die Lobby verschwanden, warf das Mädchen noch einen Blick zurück und lächelte mir zu. So wie sie gekleidet war, mit dicker schwarzer Daunenjacke über einem weiten weißen Kapuzenshirt und kurzem Jeansrock über einer hautengen schwarzen Hose, schätzte ich sie auf circa vierzehn oder fünfzehn. Sie hatte Kopfhörer in den Ohren, die Kabel schlängelten sich unter der Kapuze hervor, und als ihr immer noch lächelndes Gesicht durch die Tür verschwand, fragte ich mich, was sie wohl hörte …
    Irgendwas Neumodisches?
    Irgendwas, das mir nicht gefallen würde?
    Irgendwas, wovon ich noch nie gehört hatte?
    Und ich überlegte, wie ich mich fühlen würde, wenn ich ihr Vater wäre und mir die Musik nicht gefiele, die sie hörte … was würde ich machen?
    Du würdest gar nichts machen.
    »Ich würde mir alt vorkommen.«
    Du bist alt.
    »Sie hat mich angelächelt, Stace. Hast du gesehen?«
    Ja.
    »Sie hat mich angelächelt.«
    Ich weiß.
    Es war keine Migräne … Ich hatte noch nie im Leben Migräne gehabt. Aber es ist einfacher zu behaupten, dass man unter Migräne leidet, als zu erklären, dass man an diesen schwarzen Ort sinkt. Und genau das war es – die tödliche Erschöpfung, die bleierne Müdigkeit, die Leere in meinem Kopf –, es war dieser schwarze Ort, der Nebel der Depression, der ab und zu in mir aufsteigt und mich für ein, zwei Tage in Finsternis hüllt.
    Er hatte sich schon eine Weile in mir bemerkbar gemacht, hatte gedroht, aufzusteigen und mich runterzuziehen. Normalerweise lege ich mich, wenn das Gefühl kommt, einfach ins Bett, schließe die Augen und lasse es geschehen. Es ist keine schöne Erfahrung und manchmal kann es wirklich schlimm sein, aber ich kenne das nun schon eine ganze Weile, und wenn es auch nichts ist, woran man sich jemals gewöhnt, weiß ich zumindest, was es
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher