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Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Kevin Brooks
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ist. Ich weiß, wie es abläuft. Und weil ich weiß, dass es mich nicht umbringt und auch nicht ewig anhält, mache ich mir normalerweise gar nicht die Mühe, dagegen anzukämpfen.
    Aber diesmal …
    Als ich es diesmal kommen spürte, war es nicht möglich gewesen, die Augen zu schließen und es geschehen zu lassen.Der Fall, an dem ich gearbeitet hatte, hatte mich fertiggemacht. Üble Dinge waren passiert. Menschen, die mir viel bedeuteten, waren verletzt worden … und ich musste mit alldem zurechtkommen, mit der Verletzung anderer und meinen eigenen Verletzungen … Und ich kann nicht mit etwas zurechtkommen, wenn ich an dem schwarzen Ort bin. Ich kann dann überhaupt nichts tun. Also musste ich das Gefühl unter Kontrolle halten. Und das hieß Selbstmedikation – Alkohol, Drogen, was immer es braucht. Alkohol, um das Gefühl unten zu halten, zu ersticken, zu betäuben. Speed und Kokain, um mich aus der Lähmung herauszuziehen, darüber hinwegzuheben. Und danach mehr Alkohol, um schlafen zu können, mehr Speed, um mich aufzuwecken …
    Mehr von allem … um einfach weiter zu funktionieren.
    Und je länger du funktionierst, desto schlimmer ist es, wenn du aufhörst.
    Deshalb hörst du nicht auf, sondern funktionierst immer weiter.
    Du schlurfst morgens um 11.45 Uhr in dein Hotelzimmer, du schließt die Tür, verriegelst sie und schlurfst zum Tisch an der Wand. Du öffnest die Flasche Whisky auf dem Tisch und füllst das Glas halb voll, trinkst einen kräftigen Schluck, schudderst, dann füllst du das Glas wieder auf und gehst zu den Doppelfenstern. Du öffnest sie, trittst auf den Balkon und zündest eine Zigarette an. Es ist kalt, du zitterst. Du trinkst mehr Whisky. Du bist so müde, so schwach, dass du kaum aufrecht stehen kannst. Du lehnst dich gegen das Balkongeländer und schaust über den Strand, auf den tristen Himmel, das blaugraue Meer … die Leere. Du hörst die traurigen Schreie der Seevögel, das ferne Klicken von Takelagen, den Wind …
    Du rauchst.
    Du trinkst.
    Der dunkle Ort kommt.
    Lass ihn kommen.
    Jetzt bist du für ihn bereit.
    Du rauchst deine Zigarette auf, trinkst dein Glas aus, gehst wieder rein und schenkst dir noch einen Whisky ein. Du gehst zurück auf den Balkon und zündest eine weitere Zigarette an. Deine Hand schmerzt. Der gebrochene Knochen pocht dumpf in der Kälte. Du denkst an Cal Franks – ins Krankenhaus eingeliefert mit einem gebrochenen Bein, einem gebrochenen Arm. Und an Bridget Moran – eine erschütterte Seele, ein gebrochenes Herz … weit weg von hier. Du hebst dein Glas und trinkst erst auf sie und dann auf Cal … und dann auf dich.
    Passen Sie auf sich auf, ja?
    Die Stimme des Vaters …
    Der Vater.
    Die Tochter.
    Und jetzt schließt du die Augen vor der kalten grauen Welt und siehst wieder ihr Gesicht, das Gesicht der Tochter … wie sie dich anlächelt, als sie durch die Tür verschwindet. Und du siehst auch dich selbst, wie du dastehst, zu ihr zurückschaust und dich fragst, was für eine Musik sie wohl hört und ob ihr Vater die Musik mag oder nicht … Aber im Innern weißt du: Was du dich wirklich fragst, ist, wie es gewesen wäre … wenn Stacy nicht gestorben wäre, wenn das Kind, mit dem sie schwanger war, nicht im Mutterleib gestorben wäre … du hättest Vater sein können. Du hättest eine Tochter haben können. Sie hätte zu einem Kaugummi kauenden Teenager heranwachsen können, der vielleicht Musik hören würde, die dir nicht gefiele …
    Und das wäre in Ordnung gewesen.
    Es wäre …
    Nicht, John. Bitte … hör auf.
    »Ich kann nichts dagegen tun, Stace. Ich – «
    Ich weiß.
    »Du und ich, unsere Tochter – «
    Vielleicht wär’s auch ein Junge geworden.
    »Nein …«, sagte ich lächelnd. »Es war ein Mädchen. Ich sehe sie vor mir … sie ist schön. So wie du.«
    Leg dich hin, John. Trink dein Glas aus und dann leg dich hin.
    »Okay.«
    Du schaffst das.
    »Ja.«
    Los, mach schon.
    »Ich liebe dich.«
    Ich weiß.
    Ich ging nicht sofort ins Bett. Ich blieb noch eine Weile auf dem Balkon, trank und rauchte, dachte nach … über gute Dinge, schlechte Dinge, das, was ich getan hatte, und das, was ich tun musste.
    Ich trank, bis ich nicht mehr weiter trinken konnte.
    Und dann noch ein Glas …
    Eine letzte Zigarette.
    Einen allerletzten Drink.
    Und danach schloss ich die Balkontür, zog den Vorhang vor, legte mich aufs Bett, machte die Augen zu und ließ den schwarzen Ort kommen.

3
    Ich schlief fast zwanzig Stunden, stand zwischendurch nur
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