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Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Bis es dunkel wird: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Kevin Brooks
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ernst wirkende Frau Ende zwanzig, Anfang dreißig. Kein Make-up, graubraune Haare, einfaches weißes T-Shirt und Jeans.
    »Vorsicht«, sagte sie. »Der Teller ist heiß.«
    »Danke.«
    »Soll ich heute Ihr Zimmer machen?«
    »Wie bitte?«
    »Ich wollte es gestern Nachmittag tun, aber da war Ihre Tür verriegelt.«
    »Ach so, ja … ich hab geschlafen. Tut mir leid.«
    Sie zuckte die Schultern. »Kein Grund, sich zu entschuldigen. Sie können schlafen, wann immer Sie wollen.« Dann lächelte sie, was mich irgendwie überraschte – ihr Gesicht hellte sich schlagartig auf. »Wenn ich könnte, würde ich den ganzen Tag schlafen.«
    Auf einmal begriff ich, dass sie – in einem Hotel wie diesem und auch noch außerhalb der Saison – vermutlich nicht bloß Kellnerin, sondern auch alles andere war: Empfangsdame, Zimmermädchen, Verwalterin, Köchin …
    »Mein Zimmer ist in Ordnung«, sagte ich. »Wenn Sie wollen, können Sie bis morgen warten.«
    »Sicher?«
    »Ja.«
    »Handtücher und so noch okay?«
    »Ja.«
    »Gut … wenn Sie irgendwas brauchen, sagen Sie mir Bescheid.«
    »Danke.«
    »Ich bin übrigens Linda.«
    »John«, antwortete ich.
    Sie nickte. »Lassen Sie sich Ihre Spiegeleier schmecken, John.«
    Ich schaute ihr hinterher, wie sie zurück in die Küche ging, und fragte mich kurz, wieso sie hier arbeitete – wieso arbeitete überhaupt jemand in so einem heruntergekommenen alten Hotel am Arsch der Welt? –, doch dann erinnerte ich mich an all die Scheißjobs, die ich im Lauf der Jahre gemacht hatte. Ich hatte meine Gründe gehabt, also nahm ich an,dass auch sie vermutlich ihre Gründe hatte. Wobei mich das nichts anging. Und ehrlich gesagt interessierte es mich auch nicht wirklich. Es war nur so ein Gedanke gewesen, nichts weiter.
    Nur ein Gedanke.
    Iss jetzt dein Frühstück.
    Es gab kein Salz und Pfeffer auf meinem Tisch. Ich stand auf, schaute mich um und entdeckte schließlich auf dem Tisch am Fenster einen Gewürzständer. Ich ging hinüber und nahm den Salzstreuer raus und da sah ich das Tagebuch – ein kleines rosafarbenes Notizbuch mit Blumenstickern und den in glitzernden Goldlettern geprägten Worten My Diary vorne drauf. Es lag auf dem Tisch, dort, wo die Tochter gesessen hatte, halb versteckt unter einer zusammengefalteten Stoffserviette. Ich nahm es in die Hand und sah aus dem Fenster, ohne wirklich zu erwarten, dass ich die Amerikaner sehen würde, doch da waren sie – die drei standen am Ende des Parkplatzes, das Mädchen tastete ihre Taschen ab und wühlte danach besorgt in ihrem Rucksack. Ich sah, wie der Vater etwas zu ihr sagte und wie sie zum Hotel zurückschaute, also hob ich die Hand und winkte mit dem Tagebuch. Kurz runzelte sie die Stirn, dann zeigte ihr Vater in meine Richtung und sprach wieder mit ihr. Sie schaute zu mir zurück und begriff jetzt, was passiert war. Der Vater warf ihr einen beruhigenden Blick zu und legte ihr die Hand auf die Schulter: Geh schon, lauf schnell und hol’s, wir warten auf dich. Und sie rannte los, quer über den Parkplatz, mit einer Mischung aus Erleichterung und Verlegenheit im Gesicht.
    Ich ging ihr in die Lobby entgegen.
    Während ich an der Hoteltür wartete, sah ich, dass sie ihren Namen mit schwarzem Filzstift vorn auf das Tagebuch geschrieben hatte: Chelsey Swalenski . Ihre Schrift war erstaunlich kindlich – die Buchstaben waren nicht miteinander verbunden und auf dem i saß statt dem Punkt ein kleinesHerz –, sodass ich überlegte, ob ich mich in ihrem Alter verschätzt hatte. Vielleicht war sie gar nicht vierzehn oder fünfzehn, sondern erst dreizehn oder noch jünger. Aber vielleicht war sie auch einfach nur nicht sehr gut im Schreiben …
    Ich schaute auf, als sie zur Tür hereinkam.
    »Oh, vielen Dank«, sagte sie leicht außer Atem und warf einen Blick auf das Tagebuch in meiner Hand. »Ich dachte schon, ich hätt es verloren.«
    Ich reichte es ihr. »Du hast es auf dem Tisch liegen lassen.«
    »Danke«, wiederholte sie, den Blick starr auf das Buch gerichtet.
    »Kein Problem«, antwortete ich lächelnd. »Hab auch nicht reingeguckt.«
    Es sollte ein Scherz sein, doch sobald ich es ausgesprochen hatte, wünschte ich mir, ich hätte den Satz nicht gesagt. Denn Chelsey wurde jetzt rot, schaute peinlich berührt und ich dachte: Kein Wunder. Wenn ich ein vierzehnjähriges Mädchen wäre und ein vierzigjähriger Knacker würde mir sagen, er hätte nicht in mein Tagebuch geschaut, fände ich das bestimmt auch peinlich. Selbst wenn ich davon
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