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Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Titel: Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
Autoren: Paul Beldt
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Vorrede
im Vorgarten
    Seit sieben Wochen zelte ich jetzt im Vorgarten unseres Hauses. Ich werde so lange hierbleiben, bis mir meine Frau unmissverständlich mitgeteilt hat, was sie von dem Mann an ihrer Seite erwartet. Bislang lehnt sie jede Festlegung zwar kategorisch ab, doch ich weiß, dass meine Zeit kommen wird.
    Inzwischen bin ich eine Art Sehenswürdigkeit in der Gegend. Die Leute fotografieren mich. Sie fotografieren praktisch alles: das Zelt, den Campingtisch, an dem ich esse und meine Zeitung lese, sofern es nicht regnet. Das Gemüsebeet, das Windrad, die Hängematte, in der ich mittags gerne ausruhe, obwohl es eigentlich nichts gibt, wovon ich mich erholen müsste. Das kleine Gehege mit dem Kaninchen, das ich beim Mümmeln und Hoppeln beobachte, was mir seltsamerweise nie langweilig wird, obwohl es im Grunde tagein, tagaus nichts anderes tut, als zu mümmeln und hoppeln. Sogar den Komposthaufen fotografieren sie, als würden die organischen Reste meiner Nahrung irgendetwas beweisen. Seitdem eine Boulevardzeitung über mich berichtet hat – »Bernd W. (46), verheiratet mit einer hohen Beamtin im Bundesjustizministerium, lebt seit mehreren Wochen im Zelt vor seiner Villa im Grunewald. Ist die Emanzipation jetzt auch bei den Männern angekommen?«, darunter ein Foto: Ich sitze mit kurzer Hose im Campingstuhl und rauche eine Zigarre – , fahren regelmäßig ganze Busladungen mit Neugierigen vorbei, die es anscheinend nicht abwarten können zu sehen, wie der emanzipierte Mann von heute so lebt. Manchmal, wenn mir danach ist, gebe ich Autogramme und beantworte Fragen. Insbesondere Männer fragen mich, gegen was ich denn protestiere und ob ich ihnen Tipps geben könne. Dabei protestiere ich gegen nichts und kann auch keine besonderen Tipps geben. Ich will einfach nur meine Ruhe haben. Ich will dasitzen, Zeitung lesen und dem Kaninchen beim Mümmeln zuschauen. »Aber Sie können hier doch nicht einfach nur so rumsitzen mit Ihrem Kaninchen!«, ruft mir mitunter eine erboste Ehefrau zu, während der neben ihr stehende Mann hoffnungsvoll lächelt. »Doch«, sage ich dann entspannt von meinem bequemen Campingstuhl aus, »ich kann!«
    Einige Frauen sind so wütend, dass sie Obst oder kleine Stöcke nach mir werfen, was dazu geführt hat, dass ich ein zehn Meter langes Netz aufspannen musste, um mich vor derartigen Attacken zu schützen. Als bekannt wurde, dass ich Opfer weiblicher Gewalt geworden bin, zogen prompt Mahnwachen vors Haus. Männer in meinem Alter mit selbst gebastelten Pappschildern, auf denen sie forderten: »Es reicht, Frauen!« oder: »Freiheit für Bernd«. Eine Zeit lang war meine Ruhe im Vorgarten empfindlich gestört, denn die Mahnwachen zogen bald auch diverse Fernsehteams an. Nationale wie internationale. Selbst ein japanischer Sender schickte Reporter, um mich nach den Hintergründen meiner Aktion zu befragen. Weil mein Englisch bedauerlicherweise sehr schlecht ist und die Japaner überhaupt kein Englisch sprachen, konnte ich auf ihre in Japanisch gestellten Fragen nur mit yes und no antworten, was die Japaner dennoch so beeindruckte, dass ich dem gesamten Team hinterher Autogramme geben musste. Einer deutete mit einer Handbewegung sogar an, bei mir im Zelt nächtigen zu wollen, was ich allerdings sofort ablehnte. Als die Mahnwachen anfingen, sich vor dem Gartenzaun häuslich niederzulassen, und über Nacht blieben, rief ich die Polizei, die dem unsinnigen Treiben schließlich ein Ende bereitete. Seitdem ist es zum Glück wieder ruhig.
    Wenn Jutta, meine Frau, morgens um acht das Haus verlässt, wünscht sie mir einen guten Morgen, während ich im Zelt liege und kurz grunze. Damit weiß sie, dass ich noch lebe. In meinem Alter sind Herzinfarkte nicht selten, und da ich leichtes – meine Frau meint »erhebliches« – Übergewicht habe, erbat sich Jutta ein Lebenszeichen »meiner Wahl«, sodass sie sich keine Sorgen zu machen braucht. Meine Frau kann derart nachsichtig sein, dass es nicht zum Aushalten ist. Allerdings hege ich inzwischen den leisen Verdacht, dass ihr Wunsch nicht ganz uneigennützig ist. Denn wenn herauskäme, dass ihr Ehemann tagelang tot im gemeinsamen Vorgarten liegt, wäre das für ihre weitere Karriere im Bundesjustizministerium sicherlich nicht von Vorteil. Mein Fanclub, der im Internet eine Website betreibt (www.LasstBerndinRuhe.de), würde die Nachricht umgehend im Netz verbreiten. Und da ich weiß, dass sich auch einige Mitarbeiter ihres Ministeriums als Fans
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