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Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Titel: Biografie eines zufälligen Wunders - Roman
Autoren: Residenz
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was draußen erlaubt ist. Das ist der Haken.
    Wie Lena hier gelandet ist? Sie hat die Geschichte oft erzählt, und zwar jedes Mal genau gleich, deshalb sind Ungenauigkeiten und Missverständnisse ausgeschlossen.
    Eines Abends bekam Lena einen Anruf von ihrer langjährigen Freundin Hund, die ihr zum Geburtstag gratulieren wollte. Dann sagte sie:
    »Bist du mir böse, Lena? Tut mir leid, dass ich so ein Waschlappen bin.«
    »Ich bin dir nicht böse, Hund«, antwortete Lena. »Wie kommst du denn auf so was?! Im Gegenteil, ich bin stolz auf dich.«
    »Stolz auf mich?«
    »Ja, sicher! Du bist toll. Du hast so viel durchgemacht, gibst aber nicht auf. Du bist kein Waschlappen, du bist stark. Stärker als ich.«
    Später erzählte Hund allen, dass Lena sie für stärker als sich selbst hielt.
    »Wie geht’s deinem Rollstuhl?«, fragte Lena. »Fährst du raus? Jetzt bist du fast unabhängig, was?«
    »Na ja …«, sagte Hund und begann zu schluchzen, »ich war ein Mal draußen. Und das war echt ein Wahnsinnsgefühl.«
    »Wieso nur einmal?«
    »Weil der Rollstuhl kaputt ist.«
    »Dann sollen sie ihn reparieren.«
    »Man kann ihn nicht mehr richten lassen. Ich bräuchte einen neuen.«
    »Na, dann sollen deine Eltern zur Sozialfürsorge gehen und einen neuen beantragen.«
    »Waren sie schon, und haben einen beantragt. Jetzt muss man warten.«
    »Wie lange?«
    Hund schluchzte wieder.
    »Verstehst du, Lena, die Sozialfürsorge vergibt einen Rollstuhl jeweils für fünf Jahre. Das sind die Vorschriften. Wenn meiner schneller kaputtgeht, kann man nichts machen. Man muss fünf Jahre warten oder selber einen kaufen.«
    »Warum ist deiner überhaupt so schnell kaputtgegangen?!«
    »Vermutlich bin ich selber schuld, ich hab nicht aufgepasst.«
    Die Erde bebte unter Lenas Füßen. Am Tag darauf platzte sie ins Büro der Leiterin des Amts für Sozialpolitik von San Francisco.
    »Ihr Scheißlügner!«, tobte Lena. »Wie kann man Leuten so ins Gesicht lügen?«
    Bohdana Iwaniwna saß hinter ihrem aufgeräumten Schreibtisch und lächelte. Sie hatte dieses Zusammentreffen kaum erwarten können.
    »Beruhigen Sie sich«, sagte sie mit geheuchelter Freundlichkeit, »was ist passiert? Wir kennen uns doch. Heißen Sie nicht Olena?«
    »Lena heiß’ ich! Lena!«
    »Nun ja, Lena klingt eher russisch, Sie sind doch Ukrainerin …«
    »Ihr Rollstuhl ist gleich beim ersten Mal kaputtgegangen!«
    »Wessen Rollstuhl?«, fragte Bohdana Iwaniwna süßlich nach.
    »Tun Sie doch nicht so scheinheilig! Der von meiner Freundin. Er ist hin. Ich habe ihn gesehen. Das Ding kann man nicht mal als Rollstuhl bezeichnen, das ist eine Schüssel! Der reinste Plastikschrott aus China! Darauf kann man höchstens im Zimmer von einer Ecke in die andere fahren, ohne sich in Lebensgefahr zu begeben. Was ist, wenn sie sich auf der Straße das Genick gebrochen hätte?«
    »Ich würde Sie bitten, Ihren Ton zu mäßigen.«
    Lena nahm wortlos auf dem Stuhl gegenüber der Beamtin Platz.
    »Die Abteilung für Sozialfürsorge«, sagte Bohdana Iwaniwna, »vergibt die Rollstühle, die der Staat ankauft. Wir suchen uns die Rollstühle nicht persönlich aus. Sie haben recht, die Rollstühle kommen aus China. Der Staat kann sich im Moment nicht leisten, Rollstühle aus, sagen wir mal, Deutschland anzukaufen. Die sind zwar von deutlich besserer Qualität, kosten aber auch deutlich mehr.«
    »Aber die Rollstühle, die Sie vergeben, sind lebensgefährlich. Sie knicken wie Streichhölzer.«
    »Dafür bin ich aber nicht zuständig, kapieren Sie das endlich!«
    »Und was soll meine Freundin jetzt machen? Sie ist wieder nicht mobil.«
    »Vom Gesetz her dürfen wir einen Rollstuhl nur einmal innerhalb von fünf Jahren vergeben. Das ist amtlich. Wir haben uns das nicht ausgedacht. Ihre Freundin hätte besser aufpassen müssen. Die Rollstühle wurden alle staatlich geprüft. Bei pfleglicher Behandlung halten sie manchmal sogar länger als fünf Jahre.«
    »Hören Sie«, sagte Lena, »sagen Sie mir die Wahrheit, verstecken Sie sich nicht hinter dem Gesetz.«
    Bohdana Iwaniwna spannte sich an.
    »Welche Wahrheit wollen Sie hören?! Welche Wahrheit kann es da noch geben?!«
    »Sie haben den Eltern meiner Freundin einen Rollstuhl, einen Telefonanschluss und ein Auto versprochen und nichts davon erfüllt.«
    »Einen Rollstuhl hat sie doch bekommen! Wir können ja nichts dafür, dass Ihre Freundin so ein Tollpatsch ist. Der Telefonanschluss kommt demnächst! Der Handwerker ist anscheinend krank
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