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Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Titel: Biografie eines zufälligen Wunders - Roman
Autoren: Residenz
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Schlösser ausgraben, wie sie das Wild erschießen. Eine Menge Elche sind durch die Niederungen gewandert. Jetzt findet man keinen mehr. Ein paar Bären sind übrig geblieben. Sie fangen aber die Bärenjungen ein und halten sie in ihren Restaurants wie Hunde angekettet. Das ist Abschaum, das sind keine Menschen! Die Wölfe haben sich in die Berge zurückgezogen. Die Füchse sind vor lauter Angst räudig geworden. Und die Widerlinge kommen dann mit ihren impertinenten Visagen an und sagen mir: ›Halt die Schnauze, Opa!‹ Wieso sollte ich schweigen? Die können lange warten! Die haben mit mir schon auf die Mafia-Tour geredet, Geld haben sie mir auch schon hingehalten, und zwar nicht wenig! Und geschlagen. Und geschossen. Aber wenn die sich mit mir anlegen wollen, müssen sie schon früher aufstehen!«
    Hier wollte Lena den Förster bereits mit seiner Whiskyflasche und der ganzen Willkür in der Forstwirtschaft alleine lassen, doch da schnappte Marussetschko sie an der Hand und zog sie zu sich. Er flüsterte:
    »Ich werde dir ein Geheimnis verraten. Am schlimmsten sind die Schützen in Uniform.«
    »Die Jäger?«
    »Welche Jäger? Von was redest du? Haben wir etwa Jäger? Das sind Bestien! Die kaufen sich Jagdgewehre für mehrere tausend Dollar und machen ›Urlaub‹! Die schießen wann sie wollen und auf was sie wollen. Die würden genauso Menschen abknallen, aber noch trauen sie sich das nicht. Die haben kein Gewissen und keine Angst. Rote Liste, grüne Liste – alles wurscht! Die lassen sich so volllaufen, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten können, und dann drücken sie ab. Und Angst haben die keine, weil die selber Uniform tragen, verstehst du, was ich sagen will?«
    »Ja.«
    »Ohne Uniform sind sie nichts!«, wütete der Förster. »Fettsäcke mit Stummelbeinen! Die Wampe hängt raus, die Fresse ist knallrot, Backen haben sie wie Luftballons. Man würde am liebsten mit einem Nagel hineinstechen. Aber in Uniform haben sie Macht und keine Angst vor nichts. Weder vor dem Gesetz noch vor der Strafe Gottes. Wie kann man, bitte, auf einen Bison ballern, sag mir das? Der ist ja wie eine Kuh, steht da und schaut dich treuherzig an.«
    Das Erscheinen des Artikels »Der letzte Bisonhirte« war nicht der Hartnäckigkeit des Försters Marussetschko zu verdanken, sondern dem unerwarteten öffentlichen Interesse am Thema »Ausrottung von Tieren, die auf der Roten Liste stehen«. Die Kiewer Umweltschützer erklärten das gesamte Jahr zum Jahr des Bisons. Damals wurde ein Amateurvideo von einer illegalen Jagd veröffentlicht, und man muss sagen, dass Marussetschko recht hatte. Die Jäger waren tatsächlich sturzbesoffen und die Bisons standen einfach da und schauten treuherzig in den Gewehrlauf, als auf sie aus fünf Metern Entfernung geschossen wurde.
    In ihren Kommentaren zu diesem Video beteuerten die Regierungsvertreter zunächst, es sei gefälscht. Später behaupteten sie, die Bisons würden ausschließlich zur Rettung der Landwirtschaft dezimiert (und keineswegs deshalb, weil der Kopf eines männlichen Bisons auf dem Schwarzmarkt Zehntausende Dollars einbringt). Außerdem würde man nur kranke Tiere abschießen, die den Winter sowieso nicht überlebt hätten.
    Zur Bestätigung der Schädlingstheorie fanden sich ein paar »Bauern«, die schworen, eine Bisonherde hätte ihre gesamte Ernte zertrampelt. Die »einfachen Bauern« schworen unter Tränen, dass die Bisons ihnen »erst gestern« die Scheune und den Zaun zertrümmert hätten.
    »Das sind hochgefährliche Tiere!«, versicherte ein Regierungsbeamter auf einer Pressekonferenz. »Sie dürfen nicht frei durch die Dörfer laufen! Sie gehören in den Zoo oder ins Wildgehege!«
    Die Journalisten begannen dann Geschichten über die Bisons zu sammeln, und einige davon hatten tatsächlich etwas von einem Thriller.
    Da war zum Beispiel ein angeschossener Bison, der wie durch ein Wunder überlebte und sich in der Nähe eines Dorfs herumtrieb. Die Ortschaft feierte gerade das alljährliche Erntedankfest. In der Ortsmitte war gleich beim Denkmal des Unbekannten Soldaten eine kleine Bühne aufgebaut und der Dorfchor, bestehend aus vier alten Omas, gab den ganzen Tag lang vierstimmig ukrainische Volkslieder zum Besten. Das versammelte Publikum staunte nicht schlecht, als der verletzte Bison während der Darbietung auf die Bühne stampfte und jämmerlich zu brüllen anfing. Die Sängerinnen stürzten vor lauter Angst von der Bühne, eine von ihnen kam fast zu Tode. Als
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