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Bindung und Sucht

Bindung und Sucht

Titel: Bindung und Sucht
Autoren: Karl Heinz Brisch
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2010). Möglicherweise könnte ein Opiatdefizit so etwas wie ein biochemisches Korrelat unsicherer Bindung sein. Zeifman und Hazan (1997) gehen davon aus, dass die Entstehung von Bindungen über die Konditionierung des körpereigenen Opioidsystems auf den Reiz einer bestimmten anderen Person vermittelt wird, und zwar über die mit dem Erleben der sicheren Basis verknüpfte Endorphinausschüttung. Eine unsichere Bindung würde dementsprechend mit einer unvollständigen Konditionierung, einer mangelnden Verfügbarkeit von Endorphinen und einer erschwerten Stimulation des Belohnungssystems einhergehen. Der Konsum von exogenen Opiaten könnte dann besonders gut als »Bindungsersatz« geeignet und damit besonders attraktiv für Menschen mit hochunsicherer Bindung sein (vgl. zu diesem Thema auch den Beitrag von Panksepp in diesem Band).
Bindungsmuster von Heroin-, Ecstasy- und Cannabisabhängigen
    Die Ausgangsfrage für unsere zweite Untersuchung war also, ob sich Opiatkonsumenten von anderen Substanzkonsumenten in ihrem Bindungsmuster unterscheiden. Allgemeiner formuliert, ob Konsumenten unterschiedlicher Substanzen gleiche oder unterschiedliche Bindungsmuster aufweisen. Die Hypothese dabei war, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Konsum sedierender Substanzen und vermeidenden, deaktivierenden Bindungsmustern sowie zwischen dem Konsum stimulierender Substanzen und anklammernden, hyperaktivierenden Bindungsmustern geben könnte.
    Untersucht wurden daher drei Gruppen möglichst »reiner« Konsumenten von Heroin, Cannabis und Ecstasy mit jeweils missbräuchlichem bis abhängigem Konsum. Dabei wurde Cannabis als eher deaktivierende, in ähnlichen Altersgruppen konsumierte, nicht-opioide Vergleichssubstanz zum Heroin gewählt, Ecstasy (MDMA) dagegen als Kontrast, mit einem stimulierenden und »entaktogenen« (Nichols 1986), also zwischenmenschlichen Kontakt stiftenden Wirkprofil.
    Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass Bindungsmuster substanzspezifisch unterschiedlich sind. Die überwiegend ängstlich-vermeidende Bindung fand sich nur bei Heroin-Konsumenten und stützte damit die These vom Opiat als Substitutfehlender Bindungsstrategien. Die Ecstasy-Konsumenten waren zwar durchweg unsicher und klinisch hoch auffällig, zeigten aber keinen Bezug zu einem spezifischen Bindungsmuster. Damit ließ sich auch der vermutete Zusammenhang zwischen stimulierenden Substanzen und aktivierend-anklammernder Bindung nicht bestätigen. Die Cannabis-Konsumenten waren dagegen überwiegend abweisend und außerdem überraschend sicher. Cannabis kann damit nicht als Ersatz fehlender Bindungsstrategien verstanden werden, möglicherweise aber als Verstärker vorhandener abweisender Strategien. Insgesamt zeigt sich diese Gruppe auf einem Niveau eher leichterer klinischer Auffälligkeit. Zu berücksichtigen ist hier allerdings, dass es sich bei den Cannabiskonsumenten um eine in Techno-Discos rekrutierte Stichprobe handelt, die keine Repräsentativität für die Gesamtheit der Cannabiskonsumenten beanspruchen kann (Schindler et al. 2009).
Adoleszenz und familiäre Bindungsmuster
    Für das Verständnis substanzbezogener Störungen ist der Zeitraum der Adoleszenz ein entscheidender. Zwischen dem 16. und 20. Lebensjahr liegt die Zeit des höchsten Substanzkonsums und vor allem der kritische Zeitraum für eine Abhängigkeitsentwicklung. Bindungstheoretisch betrachtet, stellt die Adoleszenz mit der Ablösung von den Eltern einen wichtigen Übergang dar, eine Trennungssituation, die das Bindungssystem aktiviert. Kobak & Sceery (1988) haben die sichere Bindung in der Adoleszenz als »balancierte Selbstbehauptung« definiert, wobei sich die Balance von der Bindung mehr in Richtung Exploration und Autonomie verschiebt. Dieser Übergang zu mehr Autonomie gelingt umso besser, je mehr die Eltern bei Bedarf noch als sichere Basis und auch als Reibungsfläche zur Verfügung stehen.
    In der familientherapeutischen Literatur wird adoleszenter Substanzmissbrauch immer wieder mit misslingender Ablösung in Verbindung gebracht. Dabei werden einerseits die »Ausstoßung« des Jugendlichen aus dem Familienverband und andererseits die »Triangulation« und »Verstrickung« des Jugendlichen beschrieben (Minuchin 1974; Haley 1980; Stierlin 1980). Bei beiden Konstellationen springt die Nähe zu den Konzepten von abweisender bzw. anklammernder Bindung unmittelbar ins Auge (Marvin & Stewart 1990; Byng-Hall 1999). Es fehlten aber bislang empirische Untersuchungen dieser
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