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Graciana - Das Rätsel der Perle

Graciana - Das Rätsel der Perle

Titel: Graciana - Das Rätsel der Perle
Autoren: Marie Cordonnier
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Sainte Anne d’Auray – September 1364
    In den Messingleuchtern brannten dicke Honigwachskerzen. Ihre Flammen bewegten sich unruhig und sprühten leuchtendes Feuer über die riesigen Juwelen. Bunte Lichtfunken glühten auf und geisterten an den Wänden des niedrigen Gewölbes mit den gedrungenen Pfeilern entlang. Eingefangene Sterne, von einem Rubin, einem Saphir, einem Jadestein, einem Diamanten und einer milchig glänzenden Perle verursacht. Ein jeder für sich das Lösegeld eines Königs wert, gemeinsam ein Schatz, um den sich Sagen und Mythen rankten.
    Die Steine schmückten ein altertümliches Goldkreuz, nicht viel größer als die Hand eines kräftigen Mannes. Auf den vier Balken des Kruzifixes umgaben sie die riesige Perle in der Mitte und verliehen dem christlichen Symbol die Pracht eines heidnischen Amulettes. Man konnte es sich gut auf dem Mantel eines Zauberers vorstellen. Auf dem Mantel Merlins, der im Wald von Brocéliande in Liebe zur schönen Fee Viviane entbrannte ...
    »Die Sterne von Armor!«, flüsterte die schlanke Novizin in der schmucklosen, schwarzen Kutte tonlos. Sie bekreuzigte sich hastig, als müsse sie einen Zauber abwehren. »Es gibt sie tatsächlich!«
    »In der Tat«, Mutter Elissa nickte grimmig. Das feine Netz der Falten, das ihr ebenmäßiges Gesicht alt und verwelkt aussehen ließ, schien sich beim Anblick des kostbaren Kreuzes noch zu vertiefen. »Du kennst die Legende, die sich um dieses Kreuz rankt!«
    »Wer kennt sie nicht?«, entgegnete die Jüngere und berührte wie magisch angezogen die makellose Rundung der Perle. »Man sagt, das Schmuckstück habe die Brust von König Gradlon geziert, als er noch in seiner Stadt Ys über die Bretagne regierte. Man sagt, die fünf Sterne von Armor verleihen ihrem Besitzer die Macht, in Frömmigkeit, Tapferkeit, Gerechtigkeit, Güte und Stärke über die Bretagne zu herrschen. Man sagt ... das Kreuz sei für immer untergegangen, als die große Stadt Ys ins Unglück stürzte und im Meer versank. Man sagt, es gibt erst wieder Frieden in der Bretagne, wenn ihr Herr das Kreuz von Ys trägt!«
    »In der Tat«, Mutter Elissa nickte. »Unser Kloster hat das Geheimnis von Generation zu Generation gewahrt, aber ich fürchte, dass es nun ein Ende damit haben wird.«
    »Jean de Montfort würde seine Seligkeit für dieses Kreuz verkaufen!« Das wusste sogar eine junge Novizin, die das Kloster noch nie verlassen hatte. »Ebenso Charles de Blois oder vielleicht auch der tapfere Seigneur du Guesclin. Wollt Ihr es dem Sieger anvertrauen, wenn vor den Mauern von Auray die Entscheidung gefallen ist, damit endlich Frieden herrscht?«
    »Wahrhaftig nicht!« Das grundlose Lachen der Äbtissin klang wie das Rascheln von Pergament. »Nein, die Sterne von Armor müssen eine Legende bleiben, um jeden Preis. Es gibt keinen König Gradlon mehr. Nur sterbliche, schurkische Männer. Männer, die mit dem Schwert Tod und Verzweiflung über das Land bringen!«
    »Aber ...«
    »Schweig!«
    Die Abtissin ließ sich auf keine Diskussionen mit der Novizin ein. Sie hatte ohnehin schon zu viel gesagt.
    Sie richtete sich auf. Eine müde, alte Frau, auf deren Schultern eine viel zu schwere Last ruhte.
    »Stell keine Fragen, ich weiß, was ich tue. Lauf in die Werkstatt und sieh nach, ob du dort einen Hammer und einen Meißel findest. Aber kein Wort zu einer Menschenseele, wofür du sie benötigst!«
    Die angehende Nonne raffte ihre Kutte und eilte die ausgetretenen Stufen hinauf, die aus der niedrigen Krypta der Klosterkirche von Sainte Anne d’Auray in das Kirchenschiff führten. Ihre Gedanken überschlugen sich. Sicher, es hatte Gerüchte gegeben über ein Geheimnis, das im Kloster der heiligen Anna von Auray bewahrt wurde, aber niemand hatte je Genaueres darüber zu sagen gewusst.
    Am Ende hatte sogar sie das Getuschel für ein Hirngespinst gehalten. Für die müßigen Illusionen von Frauen, die in einer für sich abgeschlossenen Welt hinter hohen Mauern lebten und sich manchmal nach ein wenig Aufregung und Abwechslung sehnten, so wie auch sie es heimlich tat.
    Ein sündiger, frevelhafter Wunsch, den ihr der heutige Tag auf grauenvolle Weise erfüllte. Der Lärm hatte das Kloster im Wald aus seiner beschaulichen Frömmigkeit gerissen und seine Bewohnerinnen in Angst und Schrecken versetzt. Der Lärm der erbarmungslosen Schlacht, die vor den Mauern von Auray tobte.
    Seit dem Vesperläuten vernahmen sie nun schon das Klirren der Waffen, die Todes- und Schmerzensschreie der
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