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Bindung und Sucht

Bindung und Sucht

Titel: Bindung und Sucht
Autoren: Karl Heinz Brisch
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aus dieser zu distanzieren. In der Therapie führt der Weg meistens aus dem Substanzmissbrauch heraus und zunächst wieder in die Familie hinein. Erst im zweiten Schritt – und bei bestehender Abstinenz – kann dann eine erfolgversprechende Autonomieentwicklung beginnen.
    Unsere bindungstheoretischen Untersuchungen bestätigen die Annahmen und klinischen Beobachtungen der Familientherapie weitgehend. Sie zeigen aber auch eine Notwendigkeit der Differenzierung nach familiären Bindungsmustern auf. Insbesondere bei sehr unsicher gebundenen Familien erscheint eine Familientherapie alleine als wenig erfolgversprechend.
Die therapeutische Beziehung
    Nimmt man familientherapeutische Settings einmal aus, so ist die vielleicht wichtigste und bisher am meisten rezipierte therapeutische Implikation der Bindungstheorie der Hinweis auf die Bedeutung der therapeutischen Beziehung. Diese kann im besten Falle eine »korrigierende Beziehungserfahrung« werden, die zu mehr Bindungssicherheit führt. Zudem fördert sie in der Regel die Mentalisierungsfähigkeit und damit die Verarbeitung negativer Bindungserfahrungen.
    Bei sehr unsicheren Menschen ist die Entwicklung einer tragfähigen therapeutischen Beziehung allerdings nicht nur für den Therapieprozess zentral, sondern auch besonders schwer zu erreichen, da die Betroffenen in der Regel davon ausgehen, dass sie auch hier wieder enttäuscht werden. Substanzmissbraucher haben die entsprechende Beziehungsvermeidung durch den Konsum quasi zementiert, die Droge stellt hier einen Beziehungsersatz dar. Aus diesem Blickwinkel bekommt auch die Abstinenz, die in der Regel vor oder mit dem Behandlungsbeginn eingefordert wird, eine andere Bedeutung. Diese ist zwar Voraussetzung für jede echte (also auch therapeutische) Beziehungsaufnahme, sie stellt aber auch eine schutzlose Situation dar, in der Selbstregulationsmechanismen noch weitgehend fehlen. Wenn auf die »chemische Bindungsfigur« verzichtet wird, stehen menschliche Bindungs-(ersatz-) Figuren, z. B. Therapeuten, zwar in vielen Fällen zur Verfügung, können aber auch im günstigsten Fall erst nach einem längeren Prozess des Kennenlernens, Herantastens und Austestens auch als solche genutzt werden. Auch Rückfälle und Behandlungsabbrüche bekommen aus dieser Perspektive eine andere Bedeutung. Sie dürften oft nicht nur durch suchtspezifische Prozesse wie Craving motiviert sein, sondern auch einen Rückgriff auf die bewährte chemische Affektregulation darstellen und gleichzeitig eine Flucht aus therapeutischen und privaten Beziehungen.
    Bei alldem ist es wichtig, das individuelle Bindungsmuster eines Menschen mit seiner spezifischen Art der Affekt- und Beziehungsregulation zu berücksichtigen. Die beschriebenen Studien haben ja bereits auf unterschiedliche Bindungsmuster bei Konsumenten unterschiedlicher Substanzen hingewiesen, die die Notwendigkeit entsprechend angepasster Behandlungsstrategien implizieren. Aber auch innerhalb der jeweiligen Gruppen gibt es eine erhebliche Varianz, der nur ein individuell flexibler Behandlungsansatz gerecht werden kann.
Bindungs- und mentalisierungsbasierte Psychotherapie
    Schließlich soll noch die Frage beleuchtet werden, wie eine bindungsbasierte Psychotherapie im engeren Sinne aussehen könnte. Auch hierzu gibt es bislang keine Ansätze, die für den Suchtbereich zugeschnitten wären. Allerdings hat Jeremy Holmes (2001) mit seiner Brief Attachment Based Intervention (BABI) skizziert, wie eine solche Behandlung aussehen könnte.
    Ziel ist die Veränderung unsicherer Bindungsmuster und die Entwicklung von mehr Bindungssicherheit. Ausgangspunkt ist das AAI als Anamneseinterview. Im Anschluss werden die folgenden Bereiche therapeutisch bearbeitet: sichere Basis, Exploration und Freude, Protest und Ärger, Verlust, IWM, reflexive und narrative Funktion. Eine Adaption für den Suchtbereich könnte die Funktion der Droge als Ersatz einer »sicheren Basis« untersuchen und Alternativen dazu entwickeln. Zum Thema »Exploration und Freude« könnte sie versuchen, verschüttete Ressourcen und Interessen neu zu entdecken. Sie könnte sich um angemessene Formen der Selbstbehauptung kümmern. Sie könnte helfen, Verluste anzuerkennen und zu verarbeiten. Sie könnte die individuellen IWM untersuchen und verändern und schließlich zu einer verbesserten Mentalisierungsfähigkeit, d. h. zu einer reflektierteren und kohärenteren Wahrnehmung eigener und fremder psychischer Prozesse beitragen.
    Hier sind wir
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