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Bindung und Sucht

Bindung und Sucht

Titel: Bindung und Sucht
Autoren: Karl Heinz Brisch
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Interview. Die Stichprobe bestand aus N = 71 Drogenabhängigen mit Heroin- und polytoxem Beikonsum im Alter von 14 bis 25 Jahren, die Kontrollgruppe aus N = 37 nicht drogenabhängigen Geschwistern. Beide Gruppen nahmen an einer ambulanten familientherapeutischen Behandlung teil. Es zeigten sich deutliche Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Die Heroinabhängigen waren vorwiegend ängstlich-vermeidend, die Kontrollgruppe dagegen vorwiegend sicher gebunden. Darüber hinaus korrelierte das Ausmaß ängstlich-vermeidender Bindung mit der Schwere der Abhängigkeit, gemessen mit dem European Addiction Severity Index (EuropASI; Gsellhofer et al. 1999) (r = .42, p < .001). Unabhängig von der Schwere der Abhängigkeit korrelierte das Ausmaß ängstlich-vermeidender Bindung auch mit dem Vorliegen komorbider psychischer Störungen (r = .49, p < .05). Zudem ergab sich eine negative Korrelation zwischen abweisender Bindung und Schwere der Abhängigkeit (r = –.28, p < .05). Dies spricht gegen die gelegentlich aufgestellte Vermutung eines Zusammenhangs von Substanzmissbrauch und abweisender Bindung. Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass Menschen mit abweisender Bindung ja durchaus über ein funktionierendes, wenn auch unsicheres Bindungsmuster verfügen. Im Gegensatz dazu verfügen Menschen mit ängstlichvermeidender Bindung nicht über bindungsbezogene Bewältigungsstrategien. Die Ergebnisse bestätigen also einen deutlichen Zusammenhang zwischen Heroinabhängigkeit und ängstlich-vermeidender Bindung und einer möglichen Ersatzfunktion des Heroins für fehlende Bindungsstrategien (Schindler et al. 2005).
Substanzspezifische Unterschiede
    Nach dieser Studie stellte sich die Frage, ob der gefundene Zusammenhang auch für Konsumenten anderer Substanzen oder nur für Heroinabhängige gilt. Unterschiedliche Suchtmittel teilen einige allgemeine Wirkungen, weisen aber auch deutliche Unterschiede in ihren Wirkprofilen auf. Alle Suchtmittel bewirken eine affektive und kognitive Zustandsveränderung des Konsumenten, und alle bewirken eine Stimulation des Belohnungszentrums. Daneben gibt es aber erhebliche Unterschiede z. B. zwischen stimulierenden und sedierenden Substanzen, beim Ausmaß der halluzinogenen Wirkung und in den spezifischen affektiven Wirkungen, die Anxiolyse, Euphorisierung, Selbstwertsteigerung, Enthemmung und anderes umfassen können.
    Khantzian (1982) hat bereits vor 30 Jahren versucht, von der bevorzugten Substanz, der »Drug of choice«, auf die Motivation der Konsumenten zu schließen. Mit der Fragestellung, ob sich von der bevorzugten Substanz auf spezifische Bindungsmuster schließen lässt, sollten in einer Folgestudie (Schindler et al. 2009) die Bindungsmuster von Heroinkonsumenten mit denen von Konsumenten anderer Substanzen verglichen werden.
Opiate als Sonderfall?
    Opiate spielen eine entscheidende Rolle für das Verständnis substanzbezogener Störungen, denn es ist die Stimulation von Endorphinrezeptoren im ventralen Tegmentum, die das dopaminerge Belohnungssystem desinhibiert. Körpereigene Opiate (Endorphine) haben aber auch einen besonderen Bezug zum Bindungssystem. Das Erleben der »sicheren Basis« ist an eine Endorphinausschüttung gekoppelt und hat einen ähnlichen emotionalen Effekt wie der Konsum exogener Opiate. Beides wird durch dieselben neuronalen Schaltkreise vermittelt (Panksepp 1998).
    Diese Befunde haben Insel (2003) zu seiner Frage veranlasst, ob Bindung eine Suchtstörung sei. Die Antwort wäre, dass Bindung natürlich keine Sucht, aber ein überlebenswichtiges Motivationssystem ist und dass Suchtmittel ihre Attraktivität und auch ihre Gefährlichkeit u. a. dadurch erhalten, dass sie die neuronalen Schaltkreise des Bindungsbedürfnisses zweckentfremden. Eine Reihe von Tierstudien zeigt die Enge des Zusammenhangs. So verstärkt Endorphinmangel das Bedürfnis nach Zuwendung. Die Gabe von Opiaten dagegen verringert dieses Bedürfnis ebenso wie den »Trennungsschmerz« von Jungtieren bei Trennung von der Mutter. Wird Tiermüttern ein Opiat verabreicht, so reduzierendiese die Pflege ihres Nachwuchses. Darüber hinaus lässt sich die analgetische Wirkung von Opiaten durch die Anwesenheit verwandter Tiere steigern (Panksepp 1998; Panksepp et al. 2013). Untersuchungen bei Menschen fehlten bislang, aber kürzlich haben verschiedene Forschergruppen eine »Opiatdefizithypothese« zur Erklärung von Sucht und auch von Borderline-Störungen vorgelegt (Trigo et al. 2010; New & Stanley
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