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Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)

Titel: Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Autoren: Philipp Möller
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zuständig. Bei diesem 3D-Puzzle freue ich mich über meine jahrelange Erfahrung mit Tetris – im Gegensatz zu meinen Eltern habe ich nämlich damals schon gewusst, dass manche Computerspiele keine Zeitverschwendung sind. Bevor wir uns aber mit dem voll beladenen Golf auf die 1 150 Kilometer lange Autofahrt begeben, muss der Antrag noch zum Arbeitsamt geschickt werden. Als Sarah den großen Umschlag in den Briefkasten an der Straßenecke schiebt, schaut sie mich ernst an. »Bist du dir ganz sicher, dass alle Unterlagen dabei sind?«
    Ich nicke ihr vom Fahrersitz zu und verstehe den zufallenden Deckel des gelben Kastens als endgültigen Startschuss für den lang ersehnten Sommerurlaub: Kroatien, wir kommen!

    »Sarah, kannst du mal kurz gucken, ob ich …«
    Es ist gerade sechs Uhr, als ich bemerke, dass beide Mitfahrerinnen schon wieder eingeschlafen sind, und so kann ich den Anfang unseres Roadtrips dazu nutzen, meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Immerhin waren die letzten Wochen aufreibend genug, sodass ich mich nun tierisch darauf freue, ein bisschen Abstand zu gewinnen. Endlich kann ich die Hauptstadt der Freak-Republik hinter mir lassen, diesen Ort, zu dem ich vor allem in den letzten zwei Jahren ein etwas gespaltenes Verhältnis entwickelt habe. Meine heimatliche Hassliebe speist sich aus zwei Aspekten, die in Berlin mit voller Wucht aufeinanderprallen. Auf der einen Seite gibt es das Kernstück des Hauptstadtfeelings: die Freiheit. Dieses hart erkämpfte, bundesweit beliebte Kulturgut ermöglicht es seinen Bewohnern nämlich, genau so zu sein, wie sie wollen. Keine unnötigen Vorschriften, keine ungeschriebenen Gesetze oder Manieren behindern das Streben nach einem glücklichen und erfüllten Leben. Es gibt kein dörfliches Geläster, keine spießige Kleiderordnung, keine Sperrstunde, keine Kehrwoche – in Berlin kann jeder machen, was er will und wann er will.
    Doch genau hier, auf dem schmalen Grat zwischen Freiheit und Rücksichtslosigkeit, entstehen am laufenden Band Konflikte. Leider haben viele noch nicht verstanden, dass persönliche Freiheit zwangsläufig begrenzt sein muss: nämlich dort, wo die Freiheit der anderen beginnt. Dementsprechend gestaltet sich das Zusammenleben der 3,5 Millionen Einwohner immer wieder als schwierig: Ständige Ruhestörungen, Straßenschlachten im Berufsverkehr, Sperrmüll auf den Bürgersteigen, Rumgeschreie in der U-Bahn und motzig-maulige Miesepeter habe ich jedenfalls kein bisschen vermisst, als ich während meines Studiums ein Auslandssemester in einer bayerischen Kleinstadt absolviert habe.
    Aber muss man diese Dinge vielleicht in Kauf nehmen, wenn man in einer echten Metropole leben will? Sind das eben die ganz normalen Schattenseiten einer Stadt, deren Lebensgefühl in ganz Deutschland einzigartig ist? Und müssen sich junge Eltern, die das Schöne an Berlin nicht gegen ein Dasein zwischen Jägerzaun und Gartenzwerg eintauschen wollen, einfach damit abfinden, ihrem Nachwuchs höchstwahrscheinlich eine katastrophale Schulbildung zukommen zu lassen? Noch immer frage ich mich nämlich, wie eine Metropole dieser Größe und politischen Bedeutung die katastrophalen Zustände ihrer Schulen so vehement ignorieren kann. Arm, aber sexy? Als wenn man sich auf ein marodes Schulsystem etwas einbilden könnte! Wissen vielleicht einfach zu wenige, was wirklich auf den Schulhöfen abgeht? Ließe sich daran etwas ändern, wenn die Zustände bekannter wären?
    Meine Laune sinkt schlagartig, als ich an all die Grundschüler denke, die jeden Tag ohne Perspektive, Plan und Pausenbrot in die Schule kommen, deswegen schiebe ich die Gedanken an die Bildungskatastrophe meiner Heimatstadt mit Nachdruck beiseite. Es ist Urlaub, verdammt noch mal, und ich habe mir ein paar Tage Abstand von alldem redlich verdient! Zuerst fällt es mir zwar schwer, das Thema so bewusst zu ignorieren, doch mit jedem zurückgelegten Kilometer spüre ich, wie sich die Sorgenfalte zwischen meinen Augenbrauen etwas mehr lockert. Nach und nach weichen auch die düsteren Fantasien in Anbetracht der bevorstehenden Arbeitssuche der hellen Freude auf zwei Wochen Ferien an der Adriaküste. Außerdem erinnern mich Autobahnfahrten immer an die vielen Sommerurlaube, die meine Eltern mit mir und meinen Geschwistern unternommen haben, sodass sich zu meiner Freude über vierzehn Tage Müßiggang eine nostalgische Roadtrip-Romantik gesellt. Die Distanz zu den ganzen durchgeknallten Vögeln, die im Luftraum meiner Heimat
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